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Protoplanetare Scheiben: Scheiben in Schieflage

Das Radioobservatorium ALMA wirft ein neues Licht auf das 525 Lichtjahre entfernte junge Doppelsternsystem HK Tauri. Die protoplanetaren Scheiben um die beiden Sterne, in denen Planetenbildung vermutet wird, sind auffällig gegeneinander geneigt. Eine solche Schieflage könnte ein Grund für beobachtete ungeordnete Umlaufbahnen von Planeten sein.
Protoplanetare Scheiben in HK Tauri

Mit Hilfe des Radioobservatoriums ALMA in der Atacama-Wüste in Chile gelang es den Astronomen Eric Jensen vom Swarthmore College und Rachel Akeson vom NASA Exoplanet Science Institute in Kalifornien die protoplanetaren Scheiben zweier junger Sterne in einem Doppelsternsystem nicht nur zu beobachten sondern auch ihre Orientierungen zu ermitteln. Sie beobachteten dafür Dopplerverschiebungen bei Emissionslinien von Kohlenmonoxid. Dabei stellten die Forscher fest, dass die beiden Scheiben um mehr als 60 Grad gegeneinander gekippt sind. Somit befindet sich zumindest eine der beiden Scheiben in einer Schieflage von nicht weniger als 30 Grad zu der Ebene, in der die zwei Sterne umeinander kreisen.

Protoplanetare Scheiben in HK Tauri | Die künstlerische Darstellung zeigt die gegeneinander geneigten protoplanetaren Scheiben im jungen Doppelsternsystem HK Tauri.

Dies ist eine bedeutende Entdeckung im Hinblick auf die Entwicklung von Doppelsternsystemen und auch für die Entstehung von Planetensystemen. Bereits die ersten indirekten Beobachtungen von extrasolaren Planeten zeigten, dass sich die zahlreichen Planetensysteme von dem unseren häufig erheblich unterscheiden. Im Sonnensystem umlaufen die Planeten die Sonne auf relativ kreisförmigen Bahnen und näherungsweise in einer Ebene, der Ekliptik. Die Umlaufbahnen vieler Exoplaneten, insbesondere diejenigen der heißen Jupiter, sind dagegen weniger geordnet. Sie weisen zum Teil hohe Exzentrizitäten und Schieflagen gegenüber der Rotationsachse ihres Sterns auf. Der Versatz zwischen der Äquatorialebene des Zentralsterns und der Umlaufebene des Planeten lässt sich beispielsweise mit Hilfe von asteroseismischen Untersuchungen oder dem Rossiter-McLaughlin-Effekts bestimmen. Dabei wird der Stern während eines Planetentransits spektroskopisch beobachtet. Unterschiedliche Bahnneigungen zur Rotationsachse des Sterns spiegeln sich dann im Spektrum als variierende Linienverschiebungen wider: Im zeitlichen Verlauf werden die blau- und rotverschobenen Anteile unterschiedlich stark durch das Planetenscheibchen verdeckt und damit unterdrückt.

HK Tauri im Blick von Hubble und ALMA | Die Kombination von Hubble-Aufnahmen im sichtbaren und infraroten Licht sind hier mit den Radiobeobachtungen des Observatoriums ALMA kombiniert. Im sichtbaren Licht ist die Scheibe um den Begleitstern HK Tauri A nicht zu beobachten, da dieser sie überstrahlt. Der weniger helle HK Tauri B wird dagegen von seiner Scheibe verdeckt, so dass sie im optischen und infraroten Spektralbereich wegen des Streulichts gesehen werden kann.

Derzeit versuchen Planetenforscher zu klären, welche physikalischen Prozesse zu solchen ungeordneten Konfigurationen führen können. Hierbei kommen verschiedene Mechanismen in Frage: Wechselwirkungen zwischen stellaren Magnetfeldern und den Ladungsträgern innerhalb der protoplanetaren Scheiben, generell chaotische Bedingungen innerhalb von Sternentstehungsgebieten oder gegenseitige Störungen von Planeten im Lauf ihrer Entwicklung. Des Weiteren könnten dafür Bahninstabilitäten von frisch geborenen Planeten auf ihrer nach innen gerichteten Wanderung in die Nähe des Zentralkörpers verantwortlich sein. Viele Wissenschaftler vermuten auch, dass die beobachteten Bahnneigungen durch nahe stellare Begleiter, wie sie in Doppelsternsystemen vorkommen, hervorgerufen werden können. Dabei zerren die Schwerefelder der Nachbarsterne an den protoplanetaren Scheiben und lassen diese kippen.

Die aktuelle Beobachtung zeigt nun ein junges Sternenpaar mit protoplanetaren Scheiben in einer ebensolchen Schieflage. Der Abstand zwischen den beiden Begleitern des 525 Lichtjahre entfernten Systems beträgt rund 390 Astronomische Einheiten. Das Alter der Sterne schätzen Astronomen auf ein bis vier Millionen Jahre, was der Phase entspricht, in der sich Planeten innerhalb der Scheiben entwickeln sollten. Damit zeigt die Beobachtung sehr deutlich, dass ein zweiter Stern in der Umgebung von entstehenden Planetensystemen durchaus in der Lage ist, in den Entstehungsprozess einzugreifen. Er ist somit als Erklärung für schiefe Planetenumlaufbahnen ernst zu nehmen.

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  • Quellen
Jensen, E. L. N. & Akeson, R., Nature Vol. 511, S. 567–572, 31. Juli 2014

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