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News: Schleichender Verlust

Mit seinen nächsten tierischen Verwandten teilt der Mensch seinen eingeschränkten Geruchssinn. Vermutlich verlor die Nase ihre Bedeutung mit einer neuen evolutionären Errungenschaft: dem Farbensehen.
Alouatta caraya
Wäre Beethoven ein Hund gewesen, dann hätte er seine Neunte Sinfonie vielleicht als Geruchskomposition erschaffen. In der Tat führt bei uns Menschen die Nase – im Vergleich zu den Ohren und den noch viel wichtigeren Augen – ein eher bescheidenes Schattendasein unter den Fernsinnen. Dabei hat die Natur die Säugetiere genetisch für einen geruchlichen Spürsinn durchaus üppig ausgestattet: Über 1000 Gene codieren bei ihnen für unterschiedliche Geruchssensoren und stellen damit die größte Genfamilie überhaupt im Erbgut der Säuger dar.

Auch beim Menschen finden sich noch diese Gene, jedoch sind davon nur 40 Prozent aktiv. Der größte Teil hat sich in Pseudogene verwandelt – überflüssig gewordene Abschnitte im Genom, aus denen keine funktionsfähigen Proteine mehr entstehen können. Warum dieser Verlust?

Yoav Gilad aus der Arbeitsgruppe von Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie hat diese Frage systematisch angegangen: Zusammen mit anderen Forschern analysierte er das Erbgut von 19 Primatenarten, einschließlich des Menschen. Die Wissenschaftler wählten hierbei bei jeder Art zufällig 100 Gene aus der Geruchsgenfamilie aus und bestimmten den Anteil der funktionslosen Pseudogene.

Erwartungsgemäß bestätigte die Analyse die Sonderstellung des Menschen: Auch in der Auswahl der 100 Geruchsgene könnte Homo sapiens auf über die Hälfte verzichten, da sie ihm wenig nützen. Bei seinen nächsten Verwandten, den Menschenaffen Schimpanse, Gorilla, Orang-Utan und Gibbon, sah es mit etwa 30 Prozent Pseudogenen schon etwas besser aus. Etwa gleich viele funktionslose Geruchsgene hatten Pavian, Rhesusaffe oder Meerkatze, die wie Menschenaffen und Mensch zu den Altweltaffen gehören.

Geruchlich deutlich besser ausgestattet waren dagegen die Neuweltaffen wie Kapuziner, Klammeraffe oder Totenkopfaffe. Hier lag der Anteil nutzloser Pseudogene unter 20 Prozent und damit in der gleichen Größenordnung wie bei der Maus, die für ihr sprichwörtlich feines Näschen bekannt ist.

Ein Neuweltaffe wollte sich jedoch partout nicht in dieses Schema fügen: Der Schwarze Brüllaffe (Alouatta caraya) verzichtet ebenso wie seine Verwandten aus der Alten Welt auf ein Drittel seiner Geruchsgene.

Was hat der Brüllaffe mit Altweltaffen noch gemeinsam? Die Antwort ist äußerst aufschlussreich: das trichromatische Farbensehen. Altweltaffen verfügen über drei verschiedene Gene für den Sehfarbstoff Opsin, das jeweils Licht unterschiedlicher Wellenlänge absorbiert. Mit diesen drei Farben erkennen sie die bunte Vielfalt der Welt. Neuweltaffen haben dagegen nur zwei verschiedene Opsine – mit einer Ausnahme: Dem Schwarzen Brüllaffe hat die Natur ebenfalls die volle trichromatische Farbenpracht nicht vorenthalten.

Die Forscher sehen hier eine interessante Parallele in der Evolution der Primaten: Als die Altweltaffen vor etwa 23 Millionen Jahren eigene Wege gingen, hat sich bei ihnen das auf dem X-Chromosom liegende zweite Opsin-Gen verdoppelt, sodass ihre Nachfahren – einschließlich des Menschen – über drei verschiedene Sehfarbstoffe verfügten. Und genau dasselbe passierte bei den Vorfahren der Brüllaffen irgendwann vor 7 bis 16 Millionen Jahren.

Der Sehsinn wurde damit wichtiger, der Geruchssinn verlor dafür nach und nach an Bedeutung – eine Entwicklung, die wahrscheinlich noch nicht abgeschlossen ist. Dabei betrifft der schleichende Verlust nicht nur die Nase für ordinäre Gerüche. Anderen Wissenschaftlern fiel bereits auf, dass die farbtüchtigen Altweltaffen nur noch eingeschränkt Pheromone wahrnehmen können. Ob nun bei der Suche nach Futter oder nach einem Geschlechtspartner – der Mensch und seine nächsten Verwandten verlassen sich hier wohl eher auf das Auge statt auf die Nase.

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