Direkt zum Inhalt

Soziale Evolution: Schleimpilzfarmer säen Bakterienrasen

Fruchtkörper von <i>Dictyostelium</i>
Schleimpilze, die große Teile ihres Lebens als amöbenähnliche Einzelgänger bestreiten, werden gesellig, sobald ihre Umweltbedingungen sich verschlechtern. Auf Kommando formen sie dann einen vielzelligen Körper aus Stiel und Sporenbehälter, und während die Stielzellen bald absterben, überdauern einige Artgenossen in den Sporen. Rund ein Drittel dieser Überlebenden, so berichten nun US-Forscher, sorgt dabei sogar selbstlos für die nächste Generation und hält eine eiserne Nahrungsreserve aus Bakterien in speziellen Zellorganellen vor. Die aufgesparten Keime säen sie dann beim Verlassen der Spore aus, um einen Bakterienrasen als frische Nahrungsquelle für die Gemeinschaft sprießen zu lassen.

Lebenszyklus von Dictyostelium discoideum | Der Schleimpilz Dictyostelium discoideum lebt und teilt sich als Einzeller, solange das Nahrungsangebot ausreicht. Bei schlechten Umweltbedingungen aggregieren die einzelnen Zellen aber zu mehrzelligen Gebilden, die dann zu einem Fruchtkörper auswachsen. Er besteht aus einem Stiel (die Zellen, die ihn bilden, sterben ab) und einem sporenhaltigen Kopf, in dem einzelne Schleimpilze geschützt überdauern können. Die Sporen keimen dann, wenn die Gelegenheit wieder günstiger ist.
Joan Strassman und ihre Kollegen von der Rice University in Houston, Texas, entdeckten das nachhaltige Verhaltensmuster in 35 wild lebenden Populationen von Dictyostelium discoideum, der bekanntesten Spezies sozialer Schleimpilze. Mit dem Modellorganismus wird in vielen Labors die Evolution primitiven Sozialverhaltens erforscht. Vor allem suchen Wissenschaftler dabei nach Gründen, die den selbstlosen Verzicht einer Zelle zu Gunsten von Artgenossen erklärt.

Fruchtkörper von sozialen Schleimpilzen | Der Schleimpilz Dictyostelium discoideum überlebt schlechte Zeiten, indem er sich zu einem vielzelligen Fruchtkörper zusammenfindet. Dessen Köpfchen auf dem Stiel enthält Sporen, die bei günstigeren Umweltbedingungen wieder auskeimen können. Zudem bringt rund ein Drittel aller Schleimpilze auch Bakterien mit in die Spore, um die Keime später als Saatgut zu verwenden. Der wachsende Bakterienrasen wird dann zur ersten Nahrungsquelle einer neuen Schleimpilzpopulation.
Auch die Bakterien säende Schleimpilzvariante muss Nachteile in Kauf nehmen, ermittelten Strassman und ihre Kollegen: Sie wächst langsamer und überlebt in freier Wildbahn kürzer als Artgenossen, die alle verfügbaren Keime immer sofort verspeisen. Trotzdem stirbt die altruistische Form des Schleimpilzes nicht aus; offenbar, weil sie sich und den Mitinsassen eines Sporenbehälters einen deutlichen Startvorteil beim Besiedeln neuen Lebensraums nach einer Umweltkrise verschafft. Die Zellen, die sich zu Sporen zusammenfinden, sind zudem enger miteinander verwandt: Der Altruismus der Saatgut-Schleimpilze kommt also der Verwandschaft zugute. Auf diesem Weg transportieren sie auch ihr eigenes selbstloses Genprogramm zum Teil in die nächste Generation. (jo)

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.