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News: Schmarotzer mit grüner Vergangenheit

Das Leben von Parasiten steht und fällt damit, zu nutzen, was sie kriegen können. Offenbar galt dies immer auch schon im Laufe ihrer Evolutionsgeschichte: Genetische Relikte im Erreger der Schlafkrankheit beweisen dessen Erfindungsreichtum.
Von Luft und Liebe allein leben leider die wenigsten – und so stellt sich den meisten Organismen seit Anbeginn des Lebens auf der Erde eine existenzielle Frage: Wie lässt sich stets genügend Energie aus der Umgebung gewinnen, um zu überleben? Oder auf den einfachen Nenner gebracht: wie satt werden jeden Tag?

Diese grundsätzliche Lebensfrage wurde im Laufe der Evolution oft genug erfolgreich beantwortet: Tiere entwickelten im Wettkampf des gegenseitigen Fressens und Gefressenwerdens zunehmend pfiffige Strategien zur eleganten Lösung des Energiegewinnungs-Problems – und sich selbst dabei zu immer ausgefeilteren Organismen. Pflanzen dagegen brauchen ihrer Nahrung nicht mühsam hinterherzurennen. Sie erfanden die Photosynthese, die ihnen erlaubt, mit Sonnenenergie aus dem Kohlendioxid der Luft energiereichen Zuckerbrennstoff selbst herzustellen.

Dass Organismen dabei die Erfolgsrezepte ihrer Konkurrenz abkupfern, gehört seit jeher zum Geschäft: Die Mitochondrien in den Zellen aller höheren Lebewesen etwa waren einst eigenständige Bakterien, die gelernt hatten, Nährstoffe sehr effektiv mit Sauerstoff in Energie zu verwandeln. Im Laufe der Zeit wurden sie als Symbionten in die eukaryontischen Zellen integriert – und schließlich zu ihrem heute unverzichtbaren Bestandteil. Ähnliches gilt auch für die Chloroplasten, die Zellbestandteile von Pflanzen, die für die Photosynthese verantwortlich sind – auch sie waren einstmals freilebende Bakterien-Spezialisten.

Fred Opperdoes und seine Kollegen von der Université Catholique im belgischen Louvain entdeckten nun Hinweise auf eine lang zurückliegende, unerwartete Verquickung verschiedener Stoffwechselstrategien in einem medizinisch bedeutsamen Forschungsobjekt – dem einzelligen Parasiten Trypanosoma brucei. Schmarotzer, der er ist, versteht er sich darauf, als Trittbrettfahrer des menschlichen Körpers abzusahnen: Er konzentriert seine Kräfte darauf, Abwehrmaßnahmen gegen Parasiten auszuhebeln, und überlässt es dann seinem Opfer, ihn mit Energie zu versorgen. Trauriger Nebeneffekt des vergeblichen Immunsystemkampfes ist die Schlafkrankheit, an der in den Ländern südlich der Sahara etwa eine halbe Million Menschen leiden – unbehandelt endet eine Trypanosoma-Infektion meist tödlich.

Bei einer Genomanalyse des Parasiten entdeckten die Wissenschaftler um Opperdoes nun, dass 16 seiner Genen sehr ähnliche Entsprechungen ausgerechnet im Pflanzenreich haben – und dort sind die Äquivalente wichtige Bestandteile des Photosyntheseapparats. Die Forscher ziehen daraus den Schluss, dass offenbar die Entwicklungslinien von photosynthesefähigen Spezies mit denen der damals noch freilebenden Parasiten-Vorfahren vor mehr als einer Milliarde Jahre überlappten und dabei Geninformationen austauschten. Damals hätten dann die Trypanosomen-Ahnen offenbar photosynthetisches Know-how erhalten. "Ein enormer Vorteil", so Opperdoes.

Die neuerworbene Photosynthese-Befähigung nutzten die aufnahmebereiten Schmarotzer-Vorfahren dann wohl, bis sie später ihre parasitäre Karriere starteten. Denn als Vollzeitparasiten verzichteten die Trypanosomen dann aus nahe liegenden Gründen auf Photosynthese: Zum einen ist Licht Mangelware im Wirtsinneren, zum anderen liefert ihnen dessen Körper Nährstoffe frei Haus in Hülle und Fülle.

Auch als Parasiten trennten sich die frühen Trypanosomen aber nicht völlig von ihren grünen Genen. Stattdessen recycelten sie diese im Laufe der Zeit und modifizierten deren Genprodukte zu Werkzeugen eines ganz eigenen, zuckerabbauenden Stoffwechselwegs, der in anderen Organismen so nicht vorkommt: Die ehemaligen Photosynthese-Gene sind nun ein unverzichtbares Charakteristikum des ungewöhnlichen Parasiten-Stoffwechsels.

Das, so hoffen die Forscher, könnte sich nun als Achillesferse von Trypanosomen herausstellen. Herbizidähnliche Medikamente, die Produkte der parasitentypischen, ehemaligen Photosynthesegene attackieren, sollten schließlich völlig nebenwirkungsfrei sein: Dem menschlichen Organismus fehlen ja entsprechende Angriffsziele. Zwar ist dies keine sehr neue Idee, denn parasitentypische Medikamentenziele werden schon seit längerem aus eben diesen Gründen gesucht. Weitere solcher Schwachstellen zu finden, wird aber nicht schaden, um den Erregern der Schlafkrankheit und seiner Sippschaft das allzu süße Leben möglichst schwer zu machen.

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