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Masern: "Schon ein Infizierter im Zimmer reicht"

Die Masern sind zurück. In München und Berlin häufen sich derzeit die Fälle. Der Mediziner Ole Wichmann, Leiter des Fachreferats Impfprävention des Robert Koch-Instituts in Berlin, erklärt im Interview mit Spektrum.de, weshalb es immer wieder zu Ausbrüchen und Epidemien kommt, welche Risiken das für den Einzelnen mit sich bringt und welche gesundheitspolitischen Konsequenzen entstehen.
Spritze liegt auf Impfpass

Herr Dr. Wichmann, in München und Berlin häufen sich in letzter Zeit die Masernfälle. Kann man hier bereits von einer Epidemie sprechen?

Eine richtige Definition, wann man von einem Ausbruch spricht und wann von einer Epidemie, gibt es eigentlich nicht. Oft wird der Begriff Epidemie bei einem großen Ausbruch verwandt, wobei der Übergang fließend ist. In der aktuellen Situation würden wir als Epidemiologen von einem lokal begrenzten Ausbruch sprechen.

Wie ernst ist die aktuelle Situation zu beurteilen?

Wir betrachten diese Entwicklung schon als sehr ernst, vor allem vor dem Hintergrund, dass wir das gesundheitspolitische Ziel haben, bis 2015 die Masern in Europa zu eliminieren. Von daher müssen auch wir in Deutschland unseren Beitrag dazu leisten. Aber leider ist die Bundesrepublik eines der Länder, in denen die Masern noch relativ häufig vorkommen. Wir sind dadurch auch für Infektionsexporte in andere Länder und Regionen verantwortlich. Das kann dann ebenso den amerikanischen Kontinent betreffen, wo die Masern eigentlich seit 2002 eliminiert sind. 2009 gab es einen Fall, bei dem eine infizierte Person Masern aus Deutschland nach Bulgarien exportierte und dort einen großen Ausbruch auslöste mit über 24 000 Erkrankten und 24 Todesfällen.

Impfpass | Seit 40 Jahren existiert ein bewährter Impfstoff gegen Masern. Dennoch gibt es auch hier zu Lande noch größere Impflücken, die zumindest regionale Masernausbrüche begünstigen.

Müssen wir also damit rechnen, dass sich die Masernherde von München und Berlin aus auch auf andere Regionen Deutschlands ausweiten?

Die Masern sind eine unheimlich ansteckende Krankheit. Bei einer ungeschützten Person reicht es schon, dass sich ein Infizierter im Zimmer befindet, um sich anzustecken. Wenn nun infizierte Menschen aus München oder Berlin in andere Regionen reisen und dort auf ungeschützte Personen treffen, besteht das Risiko einer Übertragung und Weiterverbreitung. Das Gleiche gilt natürlich für Reisende in die Gebiete mit Masernausbrüchen, sofern diese nicht geimpft sind. Deswegen ist es durchaus denkbar, dass sich die Ausbrüche in Berlin und München noch auf weitere Teile Deutschlands erstrecken – je nachdem, wie gut dort die Durchimpfungsrate ist.

Gibt es dabei denn so große regionale Unterschiede?

Ja, die gibt es. Wir wissen, dass der Südwesten Deutschlands besonders große Impflücken hat, Bayern, Baden-Württemberg und Berlin leider auch, während sich im Osten – außerhalb Berlins – die Impfquoten in einem Bereich befinden, in dem mit keiner großen Weiterverbreitung zu rechnen ist, falls einzelne Masernfälle auftreten. Hier haben wir schon fast die Elimination erreicht.

Sie erwähnten schon mehrfach das erklärte Ziel, die Masern zu eliminieren. Ist das überhaupt möglich? So könnten doch Fledermäuse ein Virusreservoir sein.

Das ist ein Missverständnis. Es wurden in Fledermäusen masernähnliche Viren entdeckt, aber definitiv keine menschlichen Masernviren. Fledermäuse stellen daher in keiner Weise ein Reservoir für die menschlichen Masern dar. Dass aber die Ausrottung tatsächlich funktionieren kann, zeigt der amerikanischen Kontinent, also nicht nur Nord-, sondern ebenso Südamerika, wo die Masern eliminiert wurden. Und in einzelnen Ländern Europas, zum Beispiel in den skandinavischen Ländern, ist dies durch entsprechende Strategien ebenfalls gelungen. Deswegen haben wir keinen Zweifel, dass diese Maßnahme biologisch und technisch möglich ist.

Also sind Impflücken die einzige Ursache dafür, dass Masern immer wieder auftreten?

Das Schöne an der Epidemiologie der Maserninfektion ist: Wir sehen momentan keinerlei Tendenzen, dass der Impfschutz verloren geht – selbst nach 30 oder 40 Jahren nicht. Und es treten keine Virusstämme auf, die die Impfung nicht abdeckt. Aber das Virus ist so infektiös, dass es Impflücken findet. Dieses Jahr gab es in Deutschland bereits mehr als 900 Fälle. 85 Prozent der Infizierten waren ungeimpft, bei den verbleibenden 15 Prozent haben die meisten nur eine Impfdosis erhalten. Nur ein Prozent sind so genannte Impfversager, bei denen die notwendigen zwei Impfdosen keinen Schutz bewirken konnten.

Wo entstehen diese Impflücken?

Wir erkennen ganz klar, wo die Impflücken auftreten: Bei der Schuleingangsuntersuchung sehen wir, dass 92 Prozent der Kinder zwei Impfdosen bekommen haben und fast 97 Prozent immerhin eine. In dieser Altersgruppe sind wir mit den Impfquoten sehr zufrieden. Das Ziel der WHO ist es, 95 Prozent mit zwei Impfungen zu erreichen. Das Problem bei uns entstand vor 15 bis 25 Jahren, als die Impfbereitschaft niedriger war – unter anderem weil durch die Impfungen seit den 1970er Jahren wesentlich weniger Maserninfektionen auftraten. Durch die selteneren Ausbrüche haben sich viele der Ungeimpften nicht auf natürlichem Weg infiziert, wodurch wir heute zahlreiche für das Virus empfängliche Jugendliche und junge Erwachsene haben. Gerade diese Altersgruppe ist sehr mobil und fördert damit die Verbreitung des Virus bei einem Ausbruch. Ein großes Ziel ist daher, diese Impflücke zu schließen. Zudem hat es wie bei anderen Impfungen erst einmal lange Jahre gebraucht, bis die hohen Impfquoten erreicht wurden, und die zweite Impfdosis wurde außerdem erst 1991 eingeführt.

Welche Rolle spielen Ängste vor der Impfung, und wie können Sie den Eltern diese nehmen?

Ole Wichmann | ist Leiter des Fachgebiets Impfprävention am Robert Koch-Institut und Privatdozent an der Charité in Berlin.

Wir haben 2006 in Nordrhein-Westfalen im Rahmen eines größeren Ausbruchs Eltern befragt, warum Kinder nicht geimpft sind. Meist war die Antwort, dass es vergessen wurde. Es gibt natürlich Personen, die Bedenken wegen möglicher Nebenwirkungen haben. Aber das ist die Minderheit, denke ich. Die Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit des Vakzins sind bei der Masern- und Rötelnimpfung so gut, dass man eigentlich im Gespräch zwischen Arzt und Eltern die Bedenken ausräumen kann. Wir verfügen über 40 Jahre Erfahrung mit dem Impfstoff. Was für große Unsicherheit bei Laien gesorgt hat, war eine Studie, die einen Zusammenhang zwischen der Impfung und Autismus beschrieben hatte. Diese Studie wurde mittlerweile von Lancet zurückgezogen – dem Journal, das sie publiziert hatte. Sie war nicht nur wissenschaftlich fragwürdig, sondern es gab zudem einen Interessenskonflikt des Autors. Aber die Gerüchte darum kursieren natürlich noch im Internet, obwohl es mehrere groß angelegte Studien gab, die das Gegenteil beweisen.

Abgesehen von gesundheitspolitischen Aspekten und Impfstrategien. Welche Risiken bestehen durch die aktuellen Ausbrüche für die Bevölkerung? Gibt es Gruppen, für die eine Maserninfektion besonders gefährlich ist?

Zu den Komplikationen einer Maserninfektion gehören Mittelohr-, Lungen- und sogar Gehirnentzündungen. Auch in Deutschland verläuft im Durchschnitt eine von 1000 Erkrankungen durch das Virus tödlich. Besonders gefährdet für einen schweren Verlauf sind Säuglinge unter einem Jahr und Personen mit einem geschwächten Immunsystem. Zudem besteht bei Erwachsenen ein höheres Risiko für Komplikationen als bei Kindern. Vor allem aber kann es gerade bei sehr jungen Babys zu einer schweren und tödlichen Gehirnerkrankung kommen, der subakuten sklerosierenden Panencephalitis, kurz SSPE. Und Säuglinge unter einem Jahr können nicht geimpft werden. Sie sind also in ganz besonderem Maß darauf angewiesen, dass die Bevölkerung um sie herum geimpft wurde. Denn dann sind sie durch den so genannten Herdeneffekt ebenfalls geschützt.

Was kann der Einzelne tun, um sich und seine Familie zu schützen, wenn es in seinem Umfeld bereits zu einem Masernausbruch gekommen ist?

Man kann sich immer noch impfen lassen – sogar bis zu drei Tage später, nachdem man wissend Kontakt zu einer infizierten Person hatte. Die Inkubationszeit bei Masern beträgt zirka 10 bis 14 Tage, so dass der Immunschutz durch die Impfung das Ausbrechen der Krankheit quasi noch überholen kann. Je länger man wartet, desto geringer ist natürlich die Chance, dass die Impfung noch nutzt. Aber selbst, wenn es dann doch zu einem Krankheitsausbruch kommt, kann der Verlauf noch abgemildert werden. Ich kann daher nur dazu raten, den eigenen Impfschutz zu überprüfen. Wer zwei Impfungen bekommen hat, gilt als geschützt. Der Impfschutz hält ein Leben lang. Wer nur eine oder keine Impfung hatte und auch nicht mit Sicherheit sagen kann, dass er eine Maserninfektion durchgemacht hat, sollte den Hausarzt aufsuchen und sich impfen lassen. Ich würde das auf alle Fälle so machen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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