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Galaxienentwicklung: Schwarz-Loch-Rakete mit Gravitationswellenantrieb

Sterne werden schon einmal vom Kern ihrer Muttergalaxie auf Nimmerwiedersehen davon geschleudert. Selbst ihren Überbleibseln wie stellaren Schwarzen Löchern oder Neutronensternen blüht ein solches Schicksal des Öfteren. Dass jedoch das supermassereiche Schwarze Loch einer Galaxie selbst davon katapultiert wird, wurde jetzt zum ersten Mal beobachtet.
Verstoßener Quasarkern
In den Zentren aller großen Galaxien des Universums erwarten die Forscher Schwarze Löcher, ruhende Pole, in denen Millionen oder gar Milliarden Sonnenmassen vereinigt sind. Auch die Milchstraße bildet da keine Ausnahme.

Der Quasar SDSS J0927+2943 dagegen schon. In seinem Spektrum stießen Stefanie Komossa und ihre Kollegen vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching auf Ungereimtheiten: Strahlung, die typischerweise in der Nähe des aktiven Kerns entsteht, ist beträchtlich gegen die galaktischen Spektrallinien verschoben. Daraus ergibt sich eine Relativgeschwindigkeit von 2650 Kilometer pro Sekunde – deutlich mehr, als ein Objekt zum Verlassen selbst einer großen Galaxie bräuchte.

Nach einer Analyse von Daten aus dem Sloan Digital Sky Survey und von den Satelliten Rosat und Galex haben die Forscher keinen Zweifel: Es ist das supermassereiche Schwarze Loch aus dem Zentrum der Galaxie, das hier davonrast. Es verrät sich durch das Gas in seinem Gepäck, das nun – wie üblich – in einer Scheibe um den Schwerkraftschlund kreist und dabei energiereiche Strahlung abgibt.

Was aber kann den Quasarkern, der auf einige hundert Millionen Sonnenmassen geschätzt wird, derart beschleunigen? Ein zweites, selbst ein noch massereicheres Schwarzes Loch wäre dazu nicht in der Lage. Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie bietet die einzig verbleibende Lösung: Bei der Verschmelzung zweier rotierender Schwarzer Löcher tritt eine große Verzerrung des Raumzeitkontinuums auf, die sich wellenförmig ausbreitet.

Fachleute sprechen hier von Gravitationswellen. Diese laufen jedoch nicht in alle Richtungen, sondern hauptsächlich in eine einzige. Eine solche asymmetrische Abstrahlung bewirkt eine starke Beschleunigung des verschmolzenen Massemonsters – bis auf Werte um 4000 Kilometer pro Sekunde.

"Wir wissen heute, dass die Entstehung und Entwicklung von Galaxien und supermassereicher Schwarzer Löcher eng miteinander verknüpft ist", erklärt Komossa. "Dass letztere tatsächlich aus ihren Muttergalaxien 'verstoßen' werden können, impliziert, dass es eine Generation von Galaxien ohne einen solchen Kern geben muss, die sich dann anders weiterentwickeln und ein verändertes optisches Erscheinungsbild bieten", so die Astronomin weiter.

Auch die Gravitationswellenforscher werden sich für dieses Ergebnis interessieren: "Das Verschmelzen zweier Löcher ist ein extremer, 'hoch relativistischer' Vorgang, der nur mit Hilfe der Allgemeinen Relativitätstheorie berechnet werden kann. Erst vor ein oder zwei Jahren gelang es mit Supercomputern, solche Verschmelzungen zu simulieren und die hohen Fluchtgeschwindigkeiten vorherzusagen", erläutert Komossa.

Im Fall von SDSS J0927+2943 muss sich dieser Vorgang vor nicht allzu langer Zeit abgespielt haben, denn das Licht des davongeschleuderten Quasarkerns ist immer noch hell genug, um die Innenbereiche der Muttergalaxie auszuleuchten. Trotzdem hegen die Wissenschaftler die Hoffnung, mit dem Weltraumteleskop Hubble und einer weltumspannenden Phalanx von Radioteleskopen das Schwarze Loch mit seiner Akkretionsscheibe beim Entfernen vom Zentrum der Galaxie direkt beobachten zu können.

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