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Soziale Evolution: Selbstlosigkeit unter Bakterien

Auch im Reich der Mikroorganismen existieren selbstlose und egoistische Individuen. Wie sie sich gegenüber ihren Artgenossen gebaren, hängt offenbar entscheidend von den Familienbanden ab - und nicht zuletzt von der Konkurrenzsituation.
Warum legen Organismen mitunter ein uneigennütziges Verhalten an den Tag, das zwar kostenintensiv ist, aber einem einzelnen Artgenossen oder einer ganzen Gruppe zu Nutzen kommt? Nach der Theorie des Evolutionsbiologen William Hamilton lautet die Antwort: Verwandtenselektion. Denn indem ein Individuum einem nahen Angehörigen hilft, trägt es dazu bei, dass seine Erbanlagen indirekt an die nächste Generation weitergegeben werden. Doch die genetische Ähnlichkeit hat auch eine Kehrseite: Leben die engen Verwandten infolge einer eingeschränkten Verbreitung in unmittelbarer Nähe, so werden sie zu Konkurrenten um die lokalen Ressourcen. Unter solchen Umständen sollte eine Kooperation weniger angesagt sein.

Nun untersuchten Wissenschaftler um Ashleigh Griffin von der Universität Edinburgh, wie sich Konkurrenz und Verwandtschaftsverhältnisse auf das selbstlose Verhalten von Lebewesen auswirken. Als "Versuchstier" für ihre Studien diente ihnen das humanpathogene Bakterium Pseudomonas aeruginosa, dessen Wildtyp altruistische Züge offenbart: Unter Eisenmangel scheidet es Pyoverdin aus, das zu den so genannten Siderophoren zählt. Dieses grüne Protein verbindet sich mit Eisen-Ionen in der Umgebung und macht sie verfügbar – entweder für den Produzenten selbst oder für die Nachbarn. Die Bakterien-Mutante spart sich indes die aufwändige Siderophoren-Herstellung, sie lebt vielmehr auf Kosten anderer.

In ihren Experimenten selektierten die Forscher Populationen, wobei sie jeweils mit der gleichen Anzahl an "hilfsbereiten" und "betrügerischen" Mikroorganismen begannen. Über sechs Zyklen von Gruppeninteraktionen, die etwa sieben Generationen umfassten, beobachteten sie, wie sich das anfängliche 50:50-Verhältnis im Laufe der Zeit veränderte. Dies war leicht möglich, denn das abgegebene Pyoverdin verfärbte die Kolonien der kooperativen Bakterien grün, während jene der egoistischen Individuen weiß aussahen. Doch die Rahmenbedingungen – Verwandtschaftsverhältnisse und Konkurrenzsituation – manipulierten die Wissenschaftler unabhängig voneinander.

Einen hohen beziehungsweise niedrigen Verwandtschaftsgrad erhielten sie, indem die Bakterien-Gruppen entweder aus einem einzigen Individuum (einem Schmarotzer oder Pyoverdin-Produzenten) oder aus zwei Individuen (einem betrügerischen und einem selbstlosen Bakterium) hervorgingen. Das Ausmaß der Konkurrenz beeinflussten sie während den Übertragungen, um den jeweils nächsten Zyklus der Gruppen zu starten: Bei der "globalen Konkurrenz" mischten die Forscher die Gruppen und wählten die Individuen zufällig aus. Die produktiveren Gruppen trugen somit mehr zu der neuen Runde bei.

Bei der "lokalen Konkurrenz" entnahmen die Wissenschaftler aus jeder Gruppe eine gleiche Anzahl von Individuen – ohne Mischen zwischen den Zyklen. Durch das "Kreuzen" von den beiden Faktoren "Verwandtschaft" und "Konkurrenz" ergaben sich schließlich vier verschiedene Versuchsansätze: niedriger beziehungsweise hoher Verwandtschaftsgrad kombiniert mit örtlicher beziehungsweise globaler Konkurrenz. Wie erwartet, fand sich unter den Individuen mit "engen Familienbanden" eine höhere Anzahl an Pyoverdin-Produzenten als unter den nur weitläufig verwandten Bakterien. Demnach spielen die Verwandtschaftsverhältnisse bei der Entwicklung von kooperativem Verhalten eine wichtige Rolle.

Die Experimente mit "lokaler Konkurrenz" brachten hingegen mehr Betrüger hervor als jene, bei denen die Bakteriengruppen zuvor gemischt wurden. Die Verwandtschaft ist somit entscheidend für die Selbstlosigkeit, aber sie wird offensichtlich durch das Ausmaß der Konkurrenz angepasst. Die örtliche Konkurrenz hob exakt den Effekt der nahen Verwandtschaft auf, sodass kein Typ – weder die schmarotzenden noch uneigennützigen Bakterien – begünstigt war. "Unsere Ergebnisse liefern einen klaren experimentellen Beweis dafür", betonen die Forscher um Griffin, "wie das Ausmaß der Konkurrenz die Evolution von altruistischer Kooperation beeinflusst, sowohl in Isolation als auch durch das Zusammenspiel mit der Verwandtschaft."

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