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Neurolinguistik: Semantische Feinheiten, im Gehirn aufgespürt

"Mann beißt Hund" - oder umgekehrt? Mit Hilfe eines raffinierten Hirnscannerexperiments haben Forscher das Gehirn dabei beobachtet, wie es mit der Bedeutung eines Satzes umgeht.
Hirnscan

Was im Gehirn geschieht, wenn wir komplexe Informationen aufnehmen und verarbeiten, ist auch nach Jahrzehnten intensiver Forschung weitestgehend unbekannt. Betrachtet man beispielsweise den Satz "Mann beißt Hund" und sein Gegenstück "Hund beißt Mann", stellt sich die Frage, wie das Gehirn beide Varianten auseinanderhalten kann. In einem Fall übernimmt der Hund den aktiven Part, er ist das "Agens", im anderen Fall erleidet er die durch das Verb ausgedrückte Handlung, er ist "Patiens". Wie trennt das Gehirn beide Erscheinungsformen ein und desselben Geschöpfs?

Steven Frankland und Joshua Greene von der Harvard University sind diesem Phänomen nun mit Hilfe eines ausgeklügelten Experiments nachgegangen. Es zeigte sich, dass im Gehirn offenbar ein Areal mit extremer Spezialisierung auf diesen Teil der Semantik existiert: Seine eine Hälfte "speichert" das Agens einer Handlung zwischen, die andere Hälfte hingegen hält während der Verarbeitung das Patiens vor. Das ähnele einem Computer, der jeweils aktuelle Daten in Register schiebt, schreiben die Forscher zur Veranschaulichung.

Das fragliche Zentrum spürten sie mit einem komplexen Suchmanöver auf, bei dem sie die jeweilige Hirnaktivität ihrer 20 Probanden mit Beispielsätzen nach dem "Mann-beißt-Hund-Schema" in Verbindung brachten. Fündig wurden sie in einer bestimmten Region im Bereich des oberen Rands des linken Schläfenlappens. Rein anhand der in diesem Bereich gemessenen Aktivität konnte ein Computer vorhersagen, ob ein Proband die Variante mit dem beißenden Hund oder dem beißenden Mann gelesen hatte – und zwar unabhängig davon, ob der Testsatz aktiv oder passiv formuliert war. Folglich steckt in diesem Areal der bereits nach seiner zu Grunde liegenden Bedeutung aufbereitete Satzinhalt.

Semantischer Rollentausch im Kortex

Aber in welcher Form "steckt" er darin? Frankland und Greene machten sich nun daran, die innere Struktur dieses Areals zu analysieren. Sie bildeten aus den Nomen "man", "girl", "dog" und "cat" sowie fünf verschiedenen Verben alle möglichen Satzkombinationen – in denen also mal der Hund die Katze jagte, mal die Katze den Mann sah, manchmal der Hund vom Mädchen geschubst wurde et cetera – und gaben sie den Probanden im Scanner zu lesen. Dann analysierten sie die aufgezeichnete Nervenzellaktivität.

Dabei stellte sich heraus, dass das fragliche Schläfenlappenareal in die zwei Unterbereiche zerfällt, die jeweils auf Agens beziehungsweise Patiens spezialisiert sind. Analysierte ein Computer die Aktivitätsmuster in beiden Arealen, konnte er treffsicher vorhersagen, ob der Teilnehmer einen Satz mit Hund-als-Agens oder Mädchen-als Agens und so weiter gehört hatte und welches der vier Geschöpfe aktuell in der Patiens-Rolle auftrat – jeder dieser Fälle schlug sich nämlich in Form eines eigenen Aktivitätsmusters im Areal nieder.

Die beiden Neurowissenschaftler gehen davon aus, dass auch alle anderen handelnden oder erleidenden Entitäten, die uns bei der täglichen Sprachverarbeitung begegnen, in irgendeiner Form in diese Areale geschrieben werden können. Ist die Satzinformation erst einmal derart aufgedröselt, könnten nachgeschaltete Verarbeitungsschritte darauf zurückgreifen und eine zusammenhängende Vision einer Szene integrieren.

Unterstützung erhalten die beiden Forscher von Berichten über Verletzungen in genau dieser Region des Schläfenlappens: Betroffene hätten häufig Schwierigkeiten dabei, Urheber und Erdulder einer Handlung richtig zu identifizieren, erklären sie. Unklar bleibt hingegen bei alldem, wie die Forscher auch selbst einräumen, mit welchem Mechanismus das Gehirn einen gegebenen Inhalt in diese Areale "schreibt". Anders als ein Computer mit seinen Datenregistern verfügt das Hirn nicht über beliebig befüllbare Speicherelemente. Anders gesagt: Wie es ein und dieselben Nervenzellen eines Großhirnrindenareals bewerkstelligen, spontan einen "Hund" zu repräsentieren und im nächsten Moment eine "Katze", bleibt auch nach dieser Studie offen. Aber vielleicht taugt ja gerade das neu identifizierte Semantikareal als Testlabor, um in künftigen Studien ebendiese Frage zu beantworten.

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