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Stereotype: "Sexismus ist heute subtiler"

Die Marburger Psychologin Julia Becker erforscht die Bedeutung von Sexismus im Umgang zwischen den Geschlechtern. Manche verbale Diskriminierung von Frauen mag auf den ersten Blick sogar gut gemeint erscheinen – ist deshalb aber nicht weniger bedenklich. Ein Gespräch über den schmalen Grat zwischen Chauvi und Charmeur.
Sexismus-Symbol

Am Anfang war ein Fauxpas: "Sie können ein Dirndl auch ausfüllen", witzelte der FDP-Spitzenpolitiker Rainer Brüderle gegenüber einer Journalistin des "Stern" – und löste damit eine Debatte über die Diskriminierung von Frauen in Politik und Öffentlichkeit aus. "Hat Deutschland ein Sexismus-Problem?", fragte daraufhin nicht nur der ARD-Talker Günther Jauch. Doch was genau ist Sexismus – und wie tritt er in Erscheinung? Die Psychologin Julia Becker geht diesen Fragen nach.

Frau Doktor Becker, Sie untersuchen in Experimenten und Befragungen, welche Formen von Sexismus es gibt und was sie bewirken. Wie kamen Sie zu diesem Forschungsgebiet?

Aus Gehirn und Geist 4/2013
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Ich habe in einem Graduiertenkolleg über "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" promoviert. Im Rahmen dieses Projekts wurden verschiedene Formen von Vorurteilen untersucht, klassischerweise vor allem Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Sexismus hatten Psychologen bisher jedoch noch nicht sehr intensiv erforscht. Ich fand das Thema besonders spannend, weil sich in Befragungen immer wieder zeigt, dass erstaunlich viele Frauen selbst sexistische Ansichten teilen. Sie stimmen häufig etwa Aussagen zu wie "Frauen sollten sich wieder stärker auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter besinnen". Gut ein Fünftel der weiblichen Befragten in repräsentativen Erhebungen bejahen dies.

Was genau ist Sexismus?

Zunächst einmal verstehen wir darunter alle negativen Einstellungen oder Verhaltensweisen, die einem Menschen allein auf Grund seines Geschlechts entgegengebracht werden. Das kann sich im Prinzip sowohl gegen Männer oder Frauen richten – doch natürlich sind von Sexismus vor allem Frauen betroffen. Allerdings muss man gleich dazusagen, dass es auch wohlmeinende oder "benevolente" Formen von Sexismus gibt. Denn an sich positive Haltungen gegenüber Frauen können ebenfalls dazu benutzt werden, um den ungleichen Status zwischen den Geschlechtern zu betonen oder aufrechtzuerhalten.

Hätten Sie ein Beispiel parat, wie das konkret aussieht?

Beim wohlwollenden Sexismus steht etwa die Rolle des männlichen Beschützers im Vordergrund. Frauen werden als hilfsbedürftig, kindlich oder inkompetent dargestellt. "Lass mich das mal machen, du als Frau brauchst dich damit doch nicht herumzuschlagen", heißt es dann beispielsweise. Feindseliger Sexismus bedient demgegenüber meist Klischees, die von Männern als bedrohlich wahrgenommen werden, etwa das der Feministin oder der Karrierefrau. Aus Furcht, durch sie an Macht oder Einfluss zu verlieren, konstruieren Männer bestimmte Negativbilder – etwa das der verbiesterten Emanze – und werten die Betreffende damit ab. Auch sexuelle Attraktivität kann instrumentalisiert werden, indem man auf die Qualitäten der Frau als Verführerin abhebt, die durch ihre körperlichen Attribute statt mit Sachverstand bei Kollegen oder auch beim Chef punktet.

Lässt sich sogar das Türaufhalten als eine Form von wohlwollendem Sexismus betrachten?

Nun, Männer halten ja durchaus auch anderen Männern die Tür auf. Das ist eher eine konventionalisierte Geste der Höflichkeit.

Wie unterscheidet sich der heutige Sexismus von dem "alter Schule"?

Ich denke, Sexismus ist heute oft subtiler als früher. Die Frau als wunderbares, warmherziges Wesen zu idealisieren, die dem Mann moralisch überlegen ist oder ihm mit ihrer Fürsorge als emotionale Stütze dient nbsp;- auch das ist sexistisch, da es der Frau eine ganz bestimmte Rolle zuweist. Wie wir in unseren Untersuchungen herausfanden, hängen beide Formen, der feindselige und der wohlwollende Sexismus, überraschend eng miteinander zusammen. Das bedeutet: Wer das Wesen der Frau in positiver Richtung verklärt, ist meist auch eher bereit, negativ-sexistisch aufzutreten. Letzteres wird mitunter nur als Wohlwollen getarnt. Wenn man etwa meint, eine Frau sollte abends nicht allein ausgehen und sich amüsieren, sagt man heute eben nicht mehr "Das gehört sich nicht". Stattdessen gibt man vielleicht vor, dass man sich Sorgen macht. Letztlich sollten sich Frauen in der Gesellschaft aber doch genauso frei bewegen können wie Männer.

Ein Test

In einem Experiment untersuchte Julia Becker mit Kollegen, wie Frauen wirken, die bevormundende Hilfe eines Manns bei einem Computerproblem annehmen oder ablehnen. Ließen sich die Betreffenden helfen, galten sie Beurteilern beiderlei Geschlechts als warmherzig, aber für einen Managementjob als eher unpassend. Ablehnende Frauen wiederum erschienen ihnen für Pflegeberufe weniger geeignet.

Viele Rollenbilder von früher erscheinen heute antiquiert. Liegt Sexismus im Auge des Betrachters oder kann man dafür feste Kriterien angeben?

Ich meine, man erkennt Sexismus weniger an der konkreten Handlung oder Äußerung selbst als daran, was der Betreffende damit bezweckt. Wer Unterschiede allein auf Grund des Geschlechts betont und die für seine Zwecke einsetzt – sei es, um Kritik abzuwehren oder um andere abzuwerten oder zu manipulieren –, der handelt sexistisch. Es passiert allerdings auch, dass man sexistisch handelt, ohne dies bewusst zu steuern. Wir lassen uns im Alltag eben schnell von Stereotypen leiten.

Julia Becker | Julia Becker wurde 1978 in Wipperfürth geboren. Sie studierte Psychologie an der Philipps-Universität Marburg. Seit ihrer Promotion im Graduiertenkolleg "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" forscht sie in Marburg am Lehrstuhl für Sozialpsychologie. Sie trifft auch an der Universität immer wieder auf Fälle von Sexismus, etwa wenn Professoren den Studentinnen raten, sie sollten zur Prüfung ein Top mit tiefem Ausschnitt und ein leichtes Parfüm tragen – das könne die Noten­findung begünstigen.

Sie sprechen auch von "modernem Sexismus" – was ist darunter zu verstehen?

Dieser Begriff beschreibt eine Haltung, die bestehende Diskriminierung leugnet. Etwa wenn Männer angeben, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern sei doch längst überwunden und Frauen würden gar nicht mehr benachteiligt. Laut aktuellen Studien glauben rund 60 Prozent der Deutschen, Diskriminierung von Frauen sei hier zu Lande kein Problem mehr. Mit dieser Begründung lehnen sie häufig alles ab, was Diskriminierung zu verhindern helfen soll. Wo es kein Problem gibt, muss man schließlich auch nichts dagegen unternehmen.

Ist Sexismus eher eine Typfrage, oder gibt es Bedingungen, unter denen im Prinzip jeder Mann anfällig dafür ist?

Der feindselige Sexismus dient wie gesagt vor allem dazu, echte oder vermeintliche Bedrohung abzuwehren. So mancher Mann fühlt sich vielleicht von den beruflichen Ambitionen einer Kollegin bedroht und bedient dann – wenn auch vielleicht scherzhaft verpackt – das Klischee der zickigen Karrierefrau. Hier richtet sich der Sexismus nicht gegen Frauen im Allgemeinen, sondern gegen einen bestimmten Typus. In einem Fall wie bei Herrn Brüderle, der eine Journalistin, statt auf ihre Frage zu antworten, auf ihre Oberweite anspricht, geht es natürlich darum, Kritik abzuwehren und durch den fehlenden Respekt gegenüber dem anderen vom eigentlichen Thema, der Politik, abzulenken. Es war schon bemerkenswert, wie viel Zustimmung Frau Himmelreich dafür erntete, dass sie diesen schlechten Stil öffentlich moniert hat.

Begriff "Sexismus"

In der Debatte über verbale Diskriminierung und Übergriffe von Männern gegenüber Frauen ist heute wie selbstverständlich von "Sexismus" die Rede. Doch woher stammt dieses Wort?

In Deutschland wurde der Ausdruck vor allem durch das gleichnamige Buch der Feministin Marielouise Jurreit aus dem Jahr 1976 populär. Sie bediente sich dabei einer von der US-amerikanischen Frauenbewegung geprägten Begriffsanalogie zum Rassimus, welche die institutionalisierte Unterdrückung und Benachteiligung von Frauen beschrieb. Es gibt allerdings auch eine Reihe von Vorläufern.

So erkannte etwa die Romanistin und Frauenrechtlerin Käthe Schirmacher (1865-1930) – eine der ersten Frauen in Deutschland, die einen Doktortitel erwarb – schon 1907 ein "Geschlechtsvorurteil in der Sprache", das sie als Sexualismus bezeichnete. Die französische Schriftstellerin Simone de Beauvoir (1908-1986) sprach vom "Sexus" als einem gesellschaftlichenKonstrukt von Weiblichkeit, an die typisch patriarchalische Forderungen gestellt würden (Häuslichkeit, Kinderpflege, sexuelle Unterwerfung).

In der modernen Vorurteilsforschung ist von Geschlechterstereotypen die Rede, wenn Menschen anderen allein auf Grund ihres Geschlechts bestimmte Fähigkeiten oder Rollen zuschreiben. Üblicherweise steht beim Sexismus die Distanzierung oder Abwertung des Gegenübers im Vordergund, so dass der Ausdruck eine deutlich negative Wertung beinhaltet. Wohl auch deshalb ist er vor allem in der politischen Diskussion gebräuchlich.

Ein häufiges Problem dabei ist ja die Zwickmühle, in die Frauen schnell kommen, wenn sie mit Sexismus konfrontiert werden: Sprechen sie es an oder wehren sie sich, gelten sie als überempfindlich; gehen sie darüber hinweg, erscheint das oft als stillschweigende Zustimmung. Wie kommt frau aus diesem Dilemma heraus?

Das ist tatsächlich für viele Betroffene ein Problem. In einer meiner eigenen Studien zeigte sich, dass Frauen, die wohlwollenden Sexismus ablehnen, von Männern und Frauen als weniger sympathisch eingeschätzt werden. Sie gelten als verstockt, humorlos oder gar als Emanzen. Umgekehrt haben Männer, die sich nicht helfen oder bevormunden lassen wollen, keine negativen Folgen zu befürchten. Auf die Frauen selbst wirkt das offene Ansprechen dennoch meist entlastend. Sie können besser damit abschließen und wieder zur Sachebene zurückkehren, wenn sie ihrem Unmut Luft gemacht haben. Zudem werden sie von anderen mehr respektiert und als sozial kompetenter eingeschätzt, als wenn sie nichts sagen. Insofern ist es sicher gut, nicht einfach darüber hinwegzugehen. Der Gefahr, dann als verstockt oder unsympathisch zu gelten, lässt sich gut mit Ironie und Witz vorbeugen.

Dass Frauen mitunter auch Sexismus instrumentalisieren – ich denke etwa an Ratschläge wie "Sei schlau, stell dich dumm" von B-Promi Daniela Katzenberger –, ist dem Abbau solcher Tendenzen in der Gesellschaft nicht unbedingt förderlich, oder?

Das halte ich eher für ein Medienphänomen. Verona Feldbusch hat diesen Typus des gewitzten Dummerchens populär gemacht. Doch die wenigsten Frauen wollen von anderen tatsächlich so wahrgenommen werden.

Ist Sexismus heute zwar anders als früher, aber nicht unbedingt seltener?

Meiner Ansicht nach ist der klassische Sexismus nicht mehr so fest in der Gesellschaft verankert wie einst und wird auch nicht mehr so offen zur Schau gestellt. Doch auch die subtileren Formen, von denen wir sprachen, sind durchaus bedenklich. Denn sie dienen ja letztlich nur dazu, bestehende Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse zu stützen. Und die sehen in vielen Lebensbereichen eben immer noch so aus, dass Frauen das Nachsehen haben.

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