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Sexuelles Fehlverhalten: Sexuelle Belästigung in der Forschung - wie stoppen wir sie?

Der Missbrauchsvorwurf gegen den Astronomieprofessor Geoff Marcy sollte die Forscher alarmieren und Reformen anstoßen, kommentiert Meg Urry, Präsidentin der American Astronomical Society.
Sexuelle Nötigung

Vor gut einer Woche wurde öffentlich, dass die University of California in Berkeley ein Ermittlungsverfahren wegen sexueller Belästigung gegen den dort angestellten Astronomieprofessor Geoff Marcy anstrengt. Vor gut einem Monat berichtete der Dachverband der US-Universitäten über eine alarmierend hohe Zahl von Opfern sexueller Gewalt, die sich auf dem Gelände der Hochschulen ereignet hat. Und vor gut einem Jahr hatte eine Studie zusammengetragen, dass tatsächlich die Mehrzahl aller befragten Graduierenden und Postdocs der Fächer Anthropologie und Archäologie über Belästigungen bei der Arbeit im Feld klagten.

Ich selbst habe in meiner Berufslaufbahn als Astronomin beobachten müssen, wie ein solches Fehlverhalten Frauen aus einer Karriere in MINT-Fächern drängt, also aus Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft oder Technik. Mit Wut sehe ich, wie viele kluge, ehrgeizige und leistungsfähige junge Forscherinnen ihre Träume begruben. Und traurig macht mich, dass wohl nie jemand von all den möglichen Entdeckungen und neuen Ideen dieser Frauen profitieren wird. Denn: Ja, meist werden Frauen zur Zielscheibe von Belästigung.

Sexuelle Belästigung läuft typischerweise nach folgendem Muster ab: Eine Frau ist Teilnehmerin einer wissenschaftlichen Tagung und berichtet Fachkollegen mit ähnlicher Forschungsrichtung über ihren Ansatz. Ein männlicher Kollege – meist einer in höherer Position – schenkt ihr Aufmerksamkeit, und sie freut sich darüber, dass ihre Studien ein Echo von verdienter Stelle bekommen. Doch dann wird es schleichend, aber stetig beklemmender, etwa mit ein paar flirtenden Bemerkungen, vielleicht durch Einladungen zu privaten Treffen oder zu einem Gedankenaustausch, der unbedingt, warum auch immer, im Hotelzimmer stattfinden muss. Oder mit einer Bemerkung über sein Liebesleben. Oder über irgendeinen Makel, den er an der eigenen Ehefrau zu konstatieren hat.

Den Rest der Tagung dürfte die Forscherin sich von diesem Mann fernhalten: Im Fokus steht für sie nun sicher nicht länger die Wissenschaft, sondern einfach bis zum Ende des Meetings den Kopf über Wasser zu halten. Folglich engagiert sie sich nicht mehr intensiv bei Gesprächen mit anderen wichtigen Kollegen ihres Fachbereichs – meist Männern – und verzichtet auf eigene Netzwerkeraktivitäten. Sie wird sich beim nächsten Mal gründlich überlegen, ob sie ein Meeting überhaupt noch besucht.

Natürlich darf jeder für sich selbst beantworten, ob er sich mit diesem Typ Mann auf ein Rendezvous eingelassen hätte, wenn man ihn harmlos in der Kneipe getroffen hätte, ohne über seinen beruflichen Hintergrund Bescheid zu wissen. Bei nächster Gelegenheit, in der ein Kollege die Kollegin nach ihrer Arbeit fragt – wird sie da nicht gleich argwöhnen, dass sich hinter seinem Interesse etwas anderes verbirgt? Muss man sich da noch wundern, dass Frauen nicht immer mit der größten Selbstverständlichkeit einfach ihre Ergebnisse präsentieren? Vielleicht halten sie sich auch zurück, weil sie oft die Rückmeldung bekommen haben, ihre Arbeit sei weniger entscheidend für den Erfolg als ihr Aussehen – oder ihre sexuelle Verfügbarkeit. Wie viele Frauen entscheiden sich deswegen, dass eine Laufbahn im MINT-Fachbereich diese Art Quatsch nicht wert ist – und brechen sie ab?

Ein Verhaltenskodex für berufliche Beziehungen

Ich selbst bin seit 30 Jahren Wissenschaftlerin. Während all der Jahre habe ich Affären von Professoren mit Studentinnen mitbekommen, gelegentlich hat so ein Paar geheiratet, manchmal hat auch einer den anderen (oder der andere den einen) abserviert, und das Leben ging weiter, meist ohne schlimmere Konsequenzen. Fast immer sind die Frauen jünger, fast immer machen die Männer den ersten Schritt aus einer höheren Position heraus – und sehr viel öfter sind es die Frauen, die am Ende das Feld räumen.

Noch vor 20 Jahren hätte man vielleicht gesagt: "Das Privatleben geht uns nichts an" – heute sind wir aus gutem Grund weiter. Viele Institutionen haben Richtlinien, die die ungleichen Machtverhältnisse der Beteiligten bei solchen Beziehungen einkalkulieren. Und am Ende bleibt stehen: Professoren sollte es verboten sein, eine Beziehung mit Studenten einzugehen, die noch keinen Abschluss haben – Punkt. Sinnvolle Verhaltenskodizes für Graduierte und Postdocs berücksichtigen deren größere Reife und höheres Alter, sollten gleichzeitig aber auch Schutz vor Situationen bieten, in denen etwa Vergeltungsmaßnahmen wegen einer gescheiterten Beziehung ihrer Karriere schaden könnten. Insbesondere sollte eine Beziehung stets öffentlich gemacht werden müssen. So wird ausgeschlossen, dass der andere nach einer heimlichen Beziehung gefahrlos aus Rache diskreditieren kann – "Sie hat einfach schlecht gearbeitet" –, ohne dass dann auch nach persönlichen Gründen gefragt wird.

Sauber definierte Richtlinien nötig

Wissenschaftliche Institutionen und Vereinigungen sollten sich überdies sauber definierte Richtlinien geben, die den Umgang mit Beschwerden über sexuelles Missverhalten oder Hinweise darauf regeln. Die Folgen sollten allen vor dem Eintreten solcher Fälle klar sein. Bei meinem Arbeitgeber, der Yale University, erhalten die Fakultät und die Studentenschaft halbjährlich Berichte über Beschwerdeverfahren und ihren Ausgang, wobei die Namen und Identifizierungsmerkmale der Beteiligten anonym bleiben, die Positionen von Beschwerdeführer und Beschuldigtem aber deutlich werden. Dieses Verfahren trägt schon viel dazu bei, ein größeres Umfeld über das übliche Vorgehen und die Konsequenzen informiert zu halten.

Sexuelle Nötigung

Als Präsidentin der American Astronomical Society (AAS) stehe ich in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass jeder Teilnehmer an AAS-Veranstaltungen unsere Richtlinien gegen Belästigung einhält: Sie verlangen, dass "die AAS ein Umfeld schafft, in dem ein offener Austausch von Meinungen und wissenschaftlichen Überzeugungen gewährleistet ist". Zudem verlangt unsere Ethikrichtlinie, dass "jede im Rahmen der Berufsausübung kontaktierte Person mit Respekt behandelt wird" und überdies "Mitarbeiter in gehobenen Positionen, vor allem Betreuer von Forschungsarbeiten, eine besondere Verantwortung für den Fortschritt von Studenten und Unterstellten in den Bereichen Ausbildung, Forschung und beruflicher Weiterentwicklung tragen".

Ich begrüße ausdrücklich die von einer Gruppe junger Astronomen gegründete Initiative "Astronomy Allies", die uns bei AAS-Konferenzen unter die Arme greift: Zertifizierte Freiwillige übernehmen Telefondienste und beantworten Anfragen von Meeting-Teilnehmern, die sich von anderen belästigt fühlen. Sie leiten dann subtile oder direkte Maßnahmen ein, in jedem Fall aber wird die Zielperson der Belästigung von Verantwortung entlastet und erhält Unterstützung.

Für Männer – gerade auch in leitenden Positionen – wäre es ebenso wichtig, sexuelle Diskriminierung als Problem anzusprechen. Getan haben das bisher wenige. Bei uns in Yale hat der Vorsitzende des Astronomiefachbereichs Pieter van Dokkum im Zuge des Marcy-Falls eine Rundmail geschrieben, in der er unter anderem konstatiert: "Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass Missbrauchsverhalten auf Kosten anderer weit verbreitet ist, und nach Anzeichen dafür wachsam Ausschau halten." Dem stimme ich vorbehaltlos zu.

Am Ende müssen alle Mitglieder unserer Gemeinschaft zusammen daran arbeiten, unser Forschungsgebiet gleichberechtigt und einladender für Frauen zu machen. Die Kultur in den Astronomiefachbereichen sollte sich eher dem Wohlergehen der Studentinnen und Studenten verschreiben als dem der Fakultät. Jeder Anschuldigung sexuellen Fehlverhaltens muss nachgegangen werden, anstatt dies als lästige Pflicht schleifen zu lassen. Die Konsequenzen für Missbrauchstäter müssen ernsthaft sein und verbindlich verhängt werden. Entscheidend ist zudem, dass wir Frauen den Rücken stärken, die den Mut haben, sich zu offenbaren: Sie riskieren im schlimmsten Fall Revancheakte und leiden oft darunter, dass ihnen nicht geglaubt wird oder sie übergangen werden. Anmache, Geringschätzung und Stress sind Probleme, mit denen sich zu viele Astronominnen allzu oft herumschlagen müssen. Sie dürfen für die nächste Generation von Forscherinnen nicht länger Alltag sein.

Meine Kollegen und ich schätzen uns glücklich, als Astrophysiker arbeiten zu dürfen, gerade in dieser turbulenten Zeit voller umwälzender Erkenntnisse in Astronomie und Physik – inmitten der Erforschung der gerade erst entdeckten Dunklen Energie, dem Hauptbestandteil unseres Universums; wo wir mit modernen Methoden supermassereichen Schwarzen Löchern beim Wachsen im Zentrum ferner Galaxien zusehen können; in einer Zeit, in der gerade die Dunkle Materie definiert wird, die Galaxien und Galaxienhaufen zusammenhält. All das und viel mehr passiert, während wir leben und forschen dürfen. Das sollte unsere Verpflichtung vertiefen, die wir gegenüber der kommenden Generation von Forscherinnen und Forschern haben – und uns helfen, Kollegen mit Respekt zu behandeln, unabhängig von ihrer Position auf der Leiter.



Der Kommentar ist im Original "How to End Sexual Harassment in Astronomy" in "Scientific American" erschienen.

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