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Stammzellbiologie: Sich selbst erziehen

Theoretisch sind sie es schon, und bestimmt werden Stammzellen irgendwann einmal auch in der Realität die versprochene Wunderwaffe gegen allerlei Krankheiten sein. Bis dahin aber steckt der Teufel in den kleinen Details der praktischen Nachzucht: Der Zellnachwuchs muss ärgerlich aufwändig gepäppelt werden. Das könnte durch ein paar neue Einblicke immerhin bald einfacher werden.
Stammzellen können fast alles – und fast alles können sie auch ganz alleine. Fern ihrer eigentlich angestammten Heimat des Körpers, in Zellkulturen, wird allerdings deutlich, dass selbst die vermeintlichen Alleskönner Unterstützung im Lebensunterhalt nötig haben. Stammzellen in praktischen, schön sortenreinen Kulturschälchen zu züchten, gelang zum Beispiel anfangs überhaupt nicht.

Mittlerweile ist klarer warum: Eine Stammzelle, egal ob in ihrer adulten oder embryonalen Variante, kommuniziert im lebenden Organismus offenbar ständig mit ihren Nachbarzellen. Nur mit Hilfe von Signalen aus ihrem Umfeld kann nach einer Teilung zum Beispiel festgelegt werden, dass nur eine entstande Tochterzelle die unumkehrbare Laufbahn einer speziellen Zelllinie einschlägt, die andere bleibt aber Stammzelle und kann damit weiter Nachschub produzieren. Würden beide gleichzeitig diesen Weg gehen, dann entstände schließlich schnell ein völlig stammzellunkultiviertes, ausdifferenziertes Gewebe.

Diese externe Entscheidungsregel kann im Detail sehr unterschiedlich ausfallen, fanden Forscher heraus – bei adulten Stammzellen greift zum Beispiel die räumliche Anordnung der Zellumgebung im jeweiligen Körpergewebe regelnd ein, die "Stammzellnische". Nur eine der Töchter der dort hineingekuschelten, sich teilenden Stammzelle bekommt dabei die richtige Dosis eines Signalmoleküls ab, dessen Menge darüber entscheidet, ob eine Stammzelle bleibt oder differenziert.

Kaum verwunderlich, dass dieses fragile Abhängigkeitsverhältnis in Kulturen nur schwer nachzubauen ist: Adulte Stammzellen können sich unter künstlichen Bedingungen außerhalb des Körpers bislang viel weniger lange erneuern und Nachschub liefern. Anders ist das allerdings bei ihren wegen ihrer Herkunft und Gewinnung ethisch umstrittenen Vettern, den embryonalen Stammzellen: Um sie in haltbaren und praktischen Kulturen zu züchten, mussten zwar auch zunächst sehr viele sehr lange an dem Rezept eines Zusatzgemisches aus verschiedensten Faktoren herumbrauen – die Liste der Inhaltsstoffe ist dabei lang, die der wirklich unbedingt nötigen aber überschaubar. Eigentlich steht nur noch die Zutat IGF fast immer darauf – und die Ingredienz bFGF immer.

Warum gerade der Wachstumsfaktor "basic fibroblast growth factor" in allen verschiedenen Mischungen enthalten sein muss, die einer hoffnungsvollen Kultur von humanen embryonalen Stammzellen (hESC) zugeführt werden, wollten nun Mickie Bhatia von der McMaster-Universität im kanadischen Hamilton und elf internationale Mitstreiter herausfinden. Am Ende glauben sie nun sogar verstanden zu haben, was er mit dem zweiten Wachstumsfaktor IGF (insulin growth factor) zu tun hat – und was beide um in Kulturschalen vereinzelte hESC eigentlich auslösen.

Die Stammzellen schaffen sich, frisch im einsamen Laborschälchen angekommen, zunächst einmal passende und nützliche Gesellschaft, erkannten Bhatia und Co: Nach einigen Teilungen entsteht bei dem hESC-Pionier eine Kolonie von seinesgleichen, zusätzlich aber auch eine Gruppe recht andersartiger Zellen mit spezieller Funktion. Nur diese Zellen tragen an ihrer Außenseite auch Rezeptoren für den omnipräsent geforderten Faktor bFGF – und antworten auf das von außen zugeführte Signal, indem sie unter anderem das zweite wichtige Signal IGF produzieren und ausschütten. IGF (genauer gesagt die Variante IGF-II) seinerseits wirkt dann auf die benachbarten Stammzellen und regt sie einer Teilung an, bei der zwei frische hESC entstehen.

Kurz: bFGF sorgt über einen Umweg (die von den angeregten Unterstützerzellen produzierten IGF) dafür, dass immer genug der ewig teilungsfähigen Stammzellen in der Kultur verbleiben. Dieser Mechanismus greift natürlich erst dann, wenn sich auch genug der ursprünglichen hESC überhaupt schon in aktivierbare Unterstützerzellen verwandelt haben – eine sinnvolle Rückkopplung beginnt dann, wenn das aktivierende Signal, bFGF, auch in ausreichender Konzentration vorhanden ist. Fehlt es, dann geht bald nichts mehr, weil nach einer kurzen Zeit nur noch differenzierte Unterstützerzellen vorhanden sind. Dies kann natürlich verhindert werden, wenn der richtige Wachstumsfaktor IGF-II von außen zugeführt wird – dann aber bleiben die hESC auch immer undifferenziert, und die Population muss auf die sich natürlich einstellende subtile, selbstverwaltete Balance der beiden frühen Zelltypen verzichten.

IGF-II sei, so die Forscher, demnach "der" entscheidende Faktor, um Stammzelllinien zu erhalten. Vielleicht noch spannender aber, dass embryonale Stammzellen, die nicht von außen belästigt werden, sich selbst mit zellulären Gesprächspartnern versorgen und dabei komfortabel eine ganz eigene Stammzellnische für sich mauern.

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