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Schule 2.0: Smartphones schaden dem Unterricht nicht

Digitale Medien wie Smartphones, Tablet-PCs und Laptops sind heute für die meisten Kinder und Jugendliche Alltag. Viele Lehrer scheuen sich allerdings davor, die Geräte auch in den Unterricht einzubinden. Zu Unrecht, sagen Forscher.
Lernen am Smartphone

"Guten Morgen, Klasse 7b. Bitte holt eure Tablets heraus, wir schreiben einen Test!" – So oder so ähnlich könnte es in deutschen Schulen in Zukunft öfter ertönen, denn die digitale Revolution erhält allmählich auch Einzug in die Klassenzimmer. Forscher und Pädagogen träumen bereits vom papierlosen Klassenzimmer und dem Abschied von Klassenarbeiten. Sie könnten eines Tages überflüssig werden, weil der Lehrer über die digitalen Geräte der Schüler und deren Vernetzung mit seinem PC immer den aktuellen Lernstand im Blick hat.

Dass moderne Medien aus dem Alltag kaum noch wegzudenken sind, ist allen Beteiligten des Schullebens bewusst. Schüler wie Lehrer besitzen Smartphones, Tablet-PCs oder Laptops. Die Vielfalt an Programmen für beide Gruppen ist kaum mehr zu überblicken: Lernangebote auf CD-Rom oder im Internet, Übungsaufgaben von Algebra bis Zeitgeschichte, Lernspiele, Simulationen und Experimentiersoftware, Datenbanken, spezielle Schülerchats und Plattformen für den Austausch von Lernmaterialien. Doch wie viel digitale Technik gehört tatsächlich in den Schulunterricht?

Die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Deutschen Bundestags mahnte 2013, dass die Schulen in Deutschland mit ihrer technischen Ausstattung hinterherhinken. Sie verweist auf eine Analyse im Rahmen der PISA-Studie 2009, laut der die Nutzung von Computern hier zu Lande weiterhin unter dem internationalen Durchschnitt liegt. Sie empfiehlt daher, dass jeder Schüler und jede Schülerin einer Oberschule mit einem mobilen Computer ausgestattet und dies pädagogisch begleiten wird.

Diese Forderung löst bei zahlreichen Lehrkräften Unmut aus. Denn die Zahl der Lehrer, die Computer, Tablets und Whiteboards im Unterricht eher ablehnen, ist von Kiel bis München dreimal so hoch wie in den anderen europäischen Ländern. Dahinter stecken meist diverse Ängste.

Facebook statt Unterricht

Viele befürchten, die Schüler würden statt auf den Lehrer und die Aufgaben zu achten, nur noch auf Bildschirme starren, nebenbei ihre Facebook-Seite checken oder im Internet herumsurfen. Ganz unbegründet ist die Haltung nicht. In ihrem Forschungsbericht "Digitale Lernwerkzeuge" fassen die Psychologen Jo Groebel und Julia Wiedermann von der Business School Berlin Potsdam Stärken und Schwächen der neuen Unterrichtsgeräte zusammen. Ablenkung ist ein Thema, das immer wieder in den Studien, die sie vorstellen, auftaucht. In einem Hamburger Projekt mit 26 Klassen aus 15 Oberschulen ließen sich vor allem schwächere Schüler und leicht ablenkbare Jugendliche von Netbooks zum Spielen und Surfen verleiten. Und der Unterricht mit Tablet-PCs in der 11. Klasse eines Gymnasiums führte zumindest anfangs dazu, dass sich viele Schüler mit anderen Dingen beschäftigten als vom Lehrer vorgesehen. Der fachlichen Leistung der Abiturienten tat das aber scheinbar keinen Abbruch: Sie hielten alle ihr Leistungslevel – und waren zudem im Unterricht deutlich motivierter.

Ein weiterer Vorbehalt: Weniger gute Schüler würden durch die zusätzlichen Medien überfordert. Sie müssten dann ja nicht nur den Inhalt verstehen, sondern auch noch ein unbekanntes Gerät oder Programm bedienen. Psychologen von der Universität Bamberg konnten allerdings in einem Experiment mit rund 160 Oberschülern zeigen, dass es keinen Unterschied macht, ob Schüler eine Leseaufgabe am Smartphone bearbeiteten oder auf dem Papier – für die guten ebenso wie für die weniger guten Schüler.

Lernen am Computer | Viele Lehrer befürchten, ihre Schüler würden lieber im Internet surfen oder das Facebook-Profil checken, anstatt dem Unterricht zu folgen, wenn Laptop oder Tablet-PC zum festen Bestandteil des Unterrichts werden. Studien zeigen jedoch ein anderes Bild.

Tatsächlich erleichtern es digitale Geräte, den unterschiedlichen Fähigkeiten der Schüler gerecht zu werden, wie mehrere Untersuchungen nahelegen. Die Psychologen Groebel und Wiedermann berichten in ihrer Übersichtsstudie von einer deutsch-schweizerischer Kooperation, bei der Forscher einer Grundschulklasse für zwei Jahre Smartphones für den Unterricht überlassen haben. Deren Fazit: Durch die digitalen Geräte konnten Schüler eher in ihrem eigenen Tempo arbeiten und es war einfacher, ihnen Aufgaben entsprechend ihres Lernstands zuzuteilen. Andere Forscher betonen auch, dass Schüler auf den Geräten Schulinhalte wie Filme, Tonaufnahmen oder Präsentationen immer wieder abspielen und ansehen können, wenn sie einmal gespeichert wurden und damit dann individuell lernen könnten.

Was die Grundschulstudie mit den Smartphones auch gezeigt hat: Die kleinen Bildschirme führten nicht, wie oft angenommen, dazu, dass die Schüler nicht mehr miteinander redeten. Im Gegenteil: Die Forscher berichten, dass nicht nur die Schüler untereinander sich öfter austauschten, sondern auch Lehrer und Schüler häufiger ins Gespräch kamen. Groebel und Wiedermann betonen zudem, dass mehr Miteinander im Unterricht in der einschlägigen Fachliteratur eng mit einer Leistungssteigerung der Schüler verknüpft ist.

Besser lernen am Tablet-PC

Und tatsächlich widersprechen Forschungsbefunde auch der größten Furcht von Kritikern der digitalen Schule: Schüler lernen durch mehr digitale Medien im Unterricht nicht weniger. In einer Untersuchung mit Studenten im ersten Semester, also frisch gebackenen Schulabgängern, schnitten sogar jene besser ab, die einen Einführungskurs mit einem Tablet-PC begleiten durften. Sie waren am Ende des Semesters im Durchschnitt eine Note besser als Studenten im gleichen Kurs, denen nur Papier und die Tafel des Dozenten zur Verfügung gestanden hatten.

Studien aus den vergangenen Jahrzehnten zeichnen ein ähnliches Bild. Der Bildungswissenschaftler John Hattie, Professor an der Melbourne Graduate School of Education in Australien, hat im Rahmen eines Großprojekts Übersichtsarbeiten dazu zusammengefasst. Die gebündelten Befunde aus 4500 einzelnen Studien mit knapp vier Millionen Probanden bestätigen: Der Einsatz von Computern im Unterricht wirkt sich günstig auf die Lernergebnisse der Schüler aus. In 60 von 100 Fällen beflügelt die Technik in der Schule den Grips des Schülers. Ein Befund, der für Schüler aus den 1990er Jahren ebenso gilt wie für Schüler von heute, in allen Klassenstufen und unabhängig von individueller Begabung. Schaden tun die modernen Lernmittel offenbar nicht.

"Es gibt kein Lernen ohne Medien"Christian Schlöndorf

Dennoch warnt Hattie in seinem Buch vor vorschnellen Schlüssen: "Meine eigene Ansicht ist, dass Computer (wie viele andere strukturelle Innovationen im Bildungswesen auch), die Wahrscheinlichkeit des Lernens erhöhen können. Eine zwangsläufige Beziehung zwischen dem Besitz eines Computers, dessen Nutzung und den Lern-Outcomes gibt es aber nicht." Ein Computer sei vor allem dann effektiv, wenn er als Ergänzung zum üblichen Unterricht eingesetzt werde, wenn die Schüler schon bestimmte Fertigkeiten im Umgang mit dem Gerät besäßen, sie mehrfach Inhalte an dem Gerät üben und selbst über das Tempo bestimmen könnten.

Es wäre weltfremd auf die neuen Geräte und Möglichkeiten zu verzichten, meint auch der Lehrer Christian Schlöndorf. "Es gibt kein Lernen ohne Medien. Und in Schülerhänden befinden sich heute nun mal zumeist digitale", sagt der Medienpädagogische Berater am Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ). "Früher hieß es auch Fernsehen und Comics machen dumm. Heute wissen wir es besser", ergänzt sein Kollege Paul Hilpert-Leusch. Es gehe vor allem darum, was die Kinder und Jugendlichen mit den digitalen Geräten machten. "Das ist wie mit einem Füller. Da gibt es unterschiedliche Modelle, manche schreiben dünn, manche dick und schön. Aber wichtig ist doch, was wir damit schreiben, welchen Inhalt wir damit transportieren."

Der richtige Umgang

"Die häufig einer Art Spaßprinzip folgende Medienroutine der jungen User muss durch einen fach- und sachorientierten, professionellen und beherrschten Umgang ergänzt werden", schreiben die Psychologen Jo Groebel und Julia Wiedermann in ihrem Forschungsbericht. "Inkompetente Nutzer bleiben doof", sagt der Psychologe Hermann Körndle, Professor für die Psychologie des Lehrens und Lernens an der Technischen Universität Dresden. Er forscht schwerpunktmäßig zu digitalen Medien. Es sei notwendig, die Schüler zu befähigen, etwa wichtige und richtige Informationen aus der Datenflut im Internet herauszufiltern, sowie die vielen Möglichkeiten der Geräte zu vermitteln.

Der Lehrer und Medienpädagoge Hagen Heinrich hat digitalen Unterricht selbst ausprobiert. Von 2009 bis 2012 hat er mit seiner Klasse einer integrierten Gesamtschule an einem groß angelegten Notebook-Projekt in Niedersachsen teilgenommen. "Früher kam nach der Stunde der Schwamm und weg war das Tafelbild. Nun konnte ich alles abspeichern. Die Schüler haben die Tafelbilder dann auf ihre Notebooks heruntergeladen, mit eigenen Anmerkungen versehen und untereinander ausgetauscht", sagt er. Ein Drittel seines Unterrichts hat er mit den Geräten durchgeführt. Die anderen Stunden arbeitete er wie gewohnt mit Büchern, Arbeitsblättern auf Papier und Notizen an der Tafel. Es war ihm wichtig, dass sich die Kinder nicht auf die Bildschirme fixieren.

Sein Modellversuch ist geglückt: "Er hat alle Beteiligten verändert: Schüler, Lehrer und Eltern." Vorurteile, nach denen die Kinder abgelenkt seien, sich nicht mehr auf die eigentlichen Unterrichtsinhalte fokussieren würden oder Lesen und Schreiben verlernen, hätten sich in seinem Fall nicht bewahrheitet. "Die Schüler zeigten eine enorme Motivation", berichtet Heinrich. Oft gehe aber eine Angst unter Lehrern und Eltern um, die Kinder würden durch die Geräte süchtig werden und nur noch herumdaddeln. Heinrich hält dagegen: In den 1920iger Jahren hätten in der New Yorker Metro auch alle ihre Köpfe hinter den Tageszeitungen vergraben. Da habe auch keiner von Sucht und Gefahren gesprochen.

Ist die moderne Technologie also gar nicht so gefährlich, wie oft gedacht? Psychologe Körndle meint: "Wenn Unterricht dazu führt, dass Denken Spaß macht, kann das doch nur gut sein."

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  • Quellen

Deutscher Bundestag: Sechster Zwischenbericht der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft". Drucksache 17/12029, 2013

Groebel, J., Wiedermann, J.: Digitale Lernwerkzeuge. Business School Berlin Potsdam, 2012

Schroeders, U., Wilhelm, O.: Testing reasoning ability with handheld computers, notebooks, and paper and pencil. In: European Journal of Psychological Assessment 26, S.284–292, 2010

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