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Hormonwirkung: Sozialisiert per Rezeptor?

Den Stoff, der das Sozialverhalten aller Säugetieren steuert, Beziehungen lenkt, Menschenkenntnis beeinflusst und unseren Jüngsten überhaupt erst auf die Welt hilft - diesen Stoff gibt es tatsächlich. Ein Einzelkämpfer ist er allerdings nicht.
Wenn es gesellig wird, spielt in unserem Körper oft ein bestimmtes Hormon die erste Geige – Oxytocin. Der Stoff, zunächst nur als spezialisierter Regulator von Wehen und Milchproduktion werdender Mütter bekannt, galt in den letzten Jahren mehr und mehr als biochemische Basiswährung von Aggression und Sex, Mutterliebe und Zuneigung, Partner- und Mutter-Kind-Bindung. Menschen, die Oxytocin riechen, entwickeln Vertrauen zu einem Gegenüber; Mäuse, denen Gentechniker die Produktion des körpereigenen Botenmoleküls abtrainierten, entwickelten sich zu sozialen Inkompetenzlern.

Was Oxytocin alles nicht mehr leisten kann, sobald es fehlt, untersuchten schon eine Reihe von Forschern mit teils spektakulären Ergebnissen. Ein Team um Yuki Takayanagi von der japanischen Tohoku-Universität wollte nun noch einen Schritt weiter gehen: Sie arbeiteten mit einem veränderten Mausstamm ohne Rezeptoren für das hormonelle Signal und verglichen diesen mit Mäusen, denen nicht die Rezeptoren, sondern stattdessen die Fähigkeit zur Produktion von Oxytocin fehlte.

Was hier auf den ersten Blick nach doppelt gemoppelt aussieht, entlarvte ein paar subtile Abweichungen in der Bedeutung von Rezeptor und dazugehörigem Hormon, ein paar typisch geschlechtsspezifische Differenzen in der Wirkung des Signalsystems – und bestätigte ein paar schon zuvor geahnte Unterschiede zwischen Mausweibchen und Menschenfrau. So sind schwangere Mäuse beispielsweise nicht – wie Menschen – davon abhängig, dass ein Oxytocin-Schub im rechten Moment für einen pünktlichen Milcheinschuss in die Mutterbrust sorgt oder davor Wehen auslöst: Die Niederkunft verlief auf den ersten Blick bei Oxytocin-freien nicht anders als bei normal ausgestatteten Mäusemüttern. Dennoch schien dem Nachwuchs – allemal dem männlichen – etwas zu fehlen.

Denn Mausmännchen ohne Oxytocinrezeptoren oder eigene Oxytocinproduktion erwiesen sich als Erwachsene auffällig feindselig und aggressiv gegenüber Artgenossen. Dies galt insbesondere dann, wenn die Rezeptor- und Hormon-freien Männchen auch schon im Mutterleib überhaupt nicht mit Oxytocin in Kontakt gekommen waren. Anders wieder bei den Männchen aus Würfen jener Mäusemütter, die eine ihrer zwei genetischen Produktionsanleitungen von Oxytocin noch besaßen und daher während der Schwangerschaft noch geringe Mengen des Neuropeptids produzieren konnten und im Uterus ausschütteten. Mit dem mütterlichen Hormon als Embryo in Berührung zu kommen, scheint einen erheblichen Einfluss auf das Sozialverhalten von erwachsenen Nagern zu haben.

Bei weiblichen Tieren hatte das Vorhandensein eines funktionierenden Hormonrezeptors zudem offenbar eine größere Bedeutung als die Fähigkeit, das Hormon selber zu produzieren. Mausmüttern ohne Rezeptoren fehlte etwa weit mehr der mütterliche Bezug zum Nachwuchs als solchen ohne Oxytocin. Ganz offensichtlich wirkt ein ebenfalls an die (falls vorhanden) Oyxtocin-Rezeptoren bindendes, bislang unerkannt gebliebenes Hormon im Notfall als Ersatzsignalgeber für Muttergefühle – in Frage kommen hier etwa körpereigne Opiate. Oxyitocin-defizitären Mausmännern kann dieser Hormon-Auswechselspieler allerdings nicht helfen, Aggressionen unter Kontrolle und normale soziale Kontakte im Griff zu behalten.

Wann und wo der Oxytocin-Rezeptor aktiviert wird, bestimmt nach Meinung der Forscher nicht nur die Sozialkompatibilität von Mäusen: Sie vermuten nach ihren Erkenntnissen nun hinter manchen menschlichen psychiatrischen Auffälligkeiten im Umgang mit Sozialpartnern eine gestörte hormonelle Balance – etwa auch dem Autismus. Auch wenn sich dies bewahrheitet, bestätigt die Arbeit aber vor allem eines: Hilfe auf Knopfdruck oder gar – Zukunftsmusik – per Hormontherapie, ist bei der unüberschaubaren Komplexität körpereigener Regulatoren sicher nicht allein dadurch schneller zu erwarten, dass die Aufgabe eines einzelnen hormonellen Mitspielers besonders gut untersucht wird.

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