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News: Spezial: Energie und Umwelt

Nach Meinung des Umweltrats ist eine energiepolitische Wende dringend erforderlich, da ohne Gegenmaßnahmen der CO2- Ausstoß in den nächsten 20 Jahren enorm ansteigen wird. Außerdem befürworten die Wissenschaftler den Ausstieg aus der Atomenergie, wobei allerdings die Restlaufzeiten der einzelnen Kraftwerke nach Gesichtspunkten wie Sicherheitsstandard, Bevölkerungsrisiko und Wirtschaftlichkeit differenziert festgelegt werden sollten.
Eine energiepolitische Wende in Sicht?

Die neue Bundesregierung ist im Spätherbst 1998 unter anderem mit dem Ziel angetreten, eine energiepolitische Wende herbeizuführen. Neueste Status-quo-Prognosen zum Energieeinsatz und zur Emissionsentwicklung belegen die Dringlichkeit einer Trendwende bei der Energienutzung: Werden keine entscheidenden Maßnahmen ergriffen, so wird der weltweite CO2-Ausstoß bis zum Jahre 2020 um mindestens 50 Prozent im Vergleich zu 1990 ansteigen.

Umweltbeeinträchtigungen durch Energiegewinnung und -umwandlung richtig zuordnen

Kritisch sind aber nicht nur die hohen Energieeinsätze und deren Emissionsfolgen, sondern ebenso die Umweltbeeinträchtigungen durch die Gewinnung und Umwandlung von Energierohstoffen. Obwohl deren Nutzung im Allgemeinen mit erheblich geringeren Emissionen verbunden ist, werden in der Diskussion vor allem den erneuerbaren Energien häufig sämtliche Umweltbeeinträchtigungen entgegengehalten, die von ihnen auf den vorgelagerten und nachgelagerten Stufen der energetischen Umwandlungskette erzeugt werden. Dabei wird leicht übersehen, dass auch mit der Nutzung konventioneller Primärenergieträger vergleichbare Beeinträchtigungen verbunden sind. Eine systematische Betrachtung der mit der Gewinnung und Umwandlung von Energieträgern verbundenen Umweltwirkungen zeigt, dass der Einsatz fossiler Energieträger, auch der heimischen Stein- und Braunkohle, kritischer als bisher gesehen werden muss.

Aus der Nutzung der Atomenergie aussteigen – aber differenziert vorgehen

Es gibt bei allen betriebenen Atomkraftwerken Restrisiken wie die Möglichkeit einer Kernschmelze und deren Folgen, für deren sichere Beherrschung die Anlagen nicht ausgelegt sind. Auch ist grundsätzlich damit zu rechnen, dass mit der Länge der Laufzeit der Anlagen durch Korrosion, Versprödung und so weiter höhere Sicherheitsrisiken entstehen. Insbesondere hält aber der Umweltrat eine weitere Nutzung der Atomenergie wegen der nach wie vor ungelösten Frage der sicheren Entsorgung radioaktiver Abfälle aus dem Kraftwerksbetrieb und aus der Wiederaufarbeitung für nicht verantwortbar.
Da es nie einen idealen Standort für Endlager für (hoch-)radioaktive Abfälle geben wird und ein Konsens über die Lösung der Risikokontroversen nicht in Sicht ist, muss davon ausgegangen werden, dass mit der Endlagerung frühestens in 20 bis 30 Jahren begonnen werden kann. Deshalb sollte spätestens bis zum Jahr 2010 eine Entscheidung über einen Endlagerstandort gefällt werden. Auf absehbare Zeit wird somit die Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle notwendig sein. Sowohl bei einer zentralen als auch bei einer dezentralen Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle bedarf es einer Offenlegung, inwieweit vorhandene Kapazitäten ausreichen, den Zeitraum der Suche nach einem adäquaten Endlager zu überbrücken.
Der Umweltrat befürwortet wegen der bestehenden rechtlichen Unsicherheiten die Strategie der Bundesregierung, Möglichkeiten einer entschädigungsfreien Beendigung der Nutzung der Atomenergie im Wege einer konsensualen Lösung mit den Betreibern zu suchen. Auf ihrer Grundlage sollte sodann ein Ausstiegsgesetz verabschiedet werden, in dem die Eckpunkte eines Ausstiegs festgelegt werden. Dazu zählt auch eine Einigung über Restlaufzeiten der Atomkraftwerke. Nach Auffassung des Umweltrates dürfte den berechtigten Interessen der Betreiber von Atomkraftanlagen durch eine Gesamtlaufzeit von circa 25 bis 30 Kalenderjahren hinreichend Rechnung getragen sein.
Der Umweltrat empfiehlt aber, bei der Festlegung von Restlaufzeiten differenziert vorzugehen. Statt einer einheitlichen Restlaufzeit könnte auch eine Einzelbewertung innerhalb von Bandbreiten für die Restlaufzeiten vorgenommen werden. Dabei empfiehlt sich allerdings eine typisierende Betrachtungsweise. Danach werden Kategorien für die Festlegung von Restlaufzeiten vorgeschlagen, die sich an den Kriterien Sicherheitsstandard, Größe des Bevölkerungsrisikos, Zwischenlagerkapazität sowie wirtschaftliche Zumutbarkeit einer baldigen Stilllegung orientieren.
Atomkraftwerke stellen bislang noch rund zwei Drittel der Grundlast der Stromversorgung in Deutschland sicher, so dass ihr mittelfristiger Wegfall ohne rechtzeitig ergriffene und ausreichende klimapolitischen Weichenstellungen nur unter Zubau konventioneller Kraftwerke voraussichtlich unter massivem Zuwachs des CO2-Ausstoßes kompensierbar ist. Klimapolitischer Handlungsbedarf kann allerdings kein Argument gegen eine Beendigung der Nutzung der Atomenergie sein. Vielmehr müssen parallel zur Festlegung von Restlaufzeiten der Atomkraftwerke Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die Stromversorgung durch Steigerung der Energieeffizienz und verstärkte Nutzung erneuerbarer Energieträger trotz Stilllegung von Atomkraftwerken gewährleisten.

Die vielfältigen Potentiale zur Emissionsminderung nutzen

Unter Berücksichtigung der heute bereits verfügbaren und langfristig absehbaren technischen Potentiale zur Realisierung auch anspruchsvoller Emissionsminderungsziele besteht nach Ansicht des Umweltrates selbst bei einem Ausstieg aus der Atomenergie kein Anlass zum Pessimismus hinsichtlich der Energieversorgung. Dass heute der Beitrag regenerativer Energien zur Deckung des Energiebedarfs noch gering ist und dass Maßnahmen des rationellen Energieeinsatzes sowie der Energieeinsparung noch nicht im wünschenswerten Umfang Platz gegriffen haben, hat mit den niedrigen, zum Teil real gesunkenen Energiepreisen zu tun. Erfahrungen zeigen aber, dass die technischen Potentiale genutzt werden, wenn es preislich angezeigt ist. Wer mittelfristig eine größere Nutzung von Emissionsminderungspotentialen will, muss insbesondere einen stetigen Anstieg der preislichen Anlastung von Umweltkosten der Energiegewinnung und -umwandlung glaubhaft ankündigen.
Bei der Strategie rationeller Energienutzung kommt der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung besondere Bedeutung zu. Die beste Maßnahme zur Förderung der ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Blockheizkraftwerke ist – neben der Anlastung der Umweltkosten – die Einräumung eines nicht-diskriminierenden Zugangs zu den Stromnetzen.

Liberalisierung des Strommarktes weiter ausgestalten

Nach Ansicht des Umweltrates erweisen sich die bisher eingeleiteten und angekündigten Maßnahmen zur Reform der Energiewirtschaft in mehrfacher Hinsicht als ergänzungs- bzw. korrekturbedürftig:

  • Die Öffnung der Strommärkte ist zu schwach. Gleicher Zugang zu den Stromtransport- und Verteilungsnetzen kann grundsätzlich nur dadurch hergestellt werden, dass dem Anbieter durch Entkoppelung von Netzbetrieb und Stromproduktion das Diskriminierungsinteresse (zugunsten der eigenen Stromproduktion) institutionell genommen wird. Bleibt es beim verhandelten Netzzugang, so sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich, um die Diskriminierung von Stromanbietern ohne eigenes Netz, insbesondere von Anbietern von Strom aus regenerativer Energien ebenso wie der meisten der Blockheizkraftwerksbetreiber, wirkungsvoller zu verhindern.

  • Die umweltpolitische Flankierung der Liberalisierung der Strommärkte ist nach Meinung des Umweltrates im Ganzen zu zaghaft und in der Struktur korrekturbedürftig. Dazu müssen Investitionen in rationelle Energienutzung, Energiesparstrategien und umweltentlastenden technischen Fortschritt sowie dauerhafte Verhaltensänderungen induziert werden. Dies geschieht wirkungsvoll insbesondere über die Erzeugung entsprechender langfristiger Preiserwartungen. Dabei muss auch die Importkonkurrenz einbezogen werden.

  • Die Direktförderung erneuerbarer Energieträger oder der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung ist aus der Sicht des Umweltrates insofern problematisch, als Freiheitsgrade bei der Wahl von Anpassungsmaßnahmen zur Erreichung der eigentlichen umweltpolitischen Ziele unnötig eingeschränkt werden. Der Umweltrat hält allerdings eine zeitlich befristete staatliche Förderung umweltfreundlicher Stromerzeugungsformen solange für erforderlich, wie die ideale Lösung einer gezielten Auspreisung der Emissionen aus politischen Gründen unterbleibt. Von den unterschiedlichen Förderungsinstrumenten ist eine Mengenlösung in Form eines Quotenmodells einem fixierten Preis für die Einspeisung von Strom vorzuziehen.

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