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News: Sprachverwandtschaften

Die menschliche Sprachenvielfalt und die natürliche Biodiversität entstanden durch ein gemeinsames Grundprinzip: Evolution. Dies nutzten Forscher, um die Geheimnisse der keltischen Sprache von einem neuen Standpunkt aus zu analysieren - und kamen zu erstaunlichen Ergebnissen.
Gallisch-römischer Kalender
Sprache "lebt": Sie wird von einer Generation an die nächste weitergegeben und verändert sich dabei immer ein wenig, durchläuft also eine Art der "Evolution". Durch die Isolation abwandernder Populationen entstehen neue Gruppen, die ihre Sprachen unabhängig voneinander in verschiedene Richtungen weiter entwickeln. Und wie Tiere und Pflanzen können Sprachen aussterben: Dabei hinterlassen manche vielleicht sogar "fossile" Überreste in Form von Schriftzeugnissen. Und wie der Ginkgo-Baum als lebendes Fossil Zeugnis von der Evolution der Pflanzen gibt, sind die heutigen keltischen Sprachen wie Walisisch, Schottisch, Irisch und Bretonisch Relikte und Zeugen einst viel weiter verbreiteter Sprachen, lebende Sprachfossilien sozusagen.

Diese grundlegenden Zusammenhänge zwischen biologischer und sprachlicher Evolution nutzten der Biochemiker Peter Forster vom McDonald Institute for Archaeological Research der University of Cambridge und der Linguist Alfred Toth von der University of New Mexico in Albuquerque für ihre Analyse lebender und ausgestorbener keltischer Sprachen.

Keltisch gehört wie fast alle europäischen und einige asiatische Sprachen in die indo-europäische Sprachfamilie und geht auf eine einzige gemeinsame Ursprache zurück, die vor einigen tausend Jahren gesprochen wurde. Seit der indo-europäische Volksstamm sich in alle Winde zerstreute und weite Teile Asiens und Europas besiedelte, spaltete sich die einst einheitliche Sprache in zahlreiche Untersprachen auf, die Worte und Grammatik in eigener Weise weiter veränderten.

Forster und Toth interpretierten diese Veränderungen als "Mutationen", anhand derer die Evolution der Sprachen heute nachvollzogen werden kann. Mithilfe biologischer Methoden, die normalerweise zur Darstellung der Entwicklungslinien von Pflanzen oder Tieren genutzt werden, konnten die Forscher detaillierte Sprachstammbäume erstellen und Zeitspannen der Entwicklung berechnen.

Dafür zogen die Forster und Toth Worte heran, die sowohl aus ausgestorbenen romanischen und keltischen Sprachen wie dem Lateinischen oder dem Gallischen überliefert, als auch aus den heute noch gesprochenen Sprachen bekannt sind. Was bei uns Deutschen heute "Tag" heißt, nannten die Römer "dies", die Gallier riefen "lat", im alten Irland sagte man "laithe", was sich im heutigen Irisch zu "la" reduziert hat. Schotten nennen den Tag "latha", Waliser "dydd" und Bretonen "deiz".

Durch eine Analyse dieser "Wortmutationen" mithilfe präzise datierter Schriftzeugnisse konnten Forster und Toth eine durchschnittliche "Mutationsgeschwindigkeit" von Worten berechnen: So scheint eine Wortveränderung im Durchschnitt alle 1350 Jahre vorzukommen.

Mit diesem Erfahrungswert war es den Forschern nun möglich, die Entwicklung des keltischen Sprachzweiges zeitlich abzuschätzen: Vor etwa 12 000 bis 8200 Jahren spaltete sich die indo-europäische Ursprache in mehrere Untersprachen – darunter auch das Keltische – auf. Seither geht diese Sprache ihren eigenen Weg.

Einige hundert bis tausend Jahre später gelangte sie dann mit den Kelten nach Mitteleuropa. Hier teilte sich ihre Sprachlinie vor 6700 bis 3700 Jahren wiederum auf: Als die Kelten auch auf die Britischen Inseln übersiedelten, entwickelte sich die Sprachen der fortan vom Festland isolierten Stämme eigenständig weiter. Doch die Veränderung der Sprache verlief langsam: Noch vor knapp 2000 Jahren stellte der römische Schriftgelehrte Tacitus nur geringe Differenzen zwischen den Sprachen der Gallier (im heutigen Frankreich) und der Briten fest.

Doch das Gallische und die anderen keltischen Sprachen des Festlandes starben mit der Zeit aus – die Nachfahren der Kelten nahmen entweder romanische oder germanische Sprachen an. Immerhin gab es eine Phase des Übergangs, in der Gallien zweisprachig war. In dieser Zeit entstanden bilinguale Schriftzeugnisse wie ein römisch-gallische Kalender, der eine zentrale Informationsquelle für die Arbeiten von Forster und Toth darstellte.

Im Gegensatz zum Gallischen überlebte das Keltische auf dem Britannischen Archipel aber bis heute – vieleicht geschützt durch die isolierte Insellage, die bisher auch Kiwi-Vögel auf Neuseeland oder den Beutelteufel auf Tasmanien vor dem Aussterben bewahrt hat.

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