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Handwerkskunst im Mittelalter: Stammt Mittelalter-Schachspiel aus Island?

Die am besten erhaltenen mittelalterlichen Schachfiguren sind im entlegensten nordwestlichen Zipfel Europas gefunden worden. Geschnitzt wurden sie womöglich noch weiter draußen auf dem Atlantik.
Lewis-Schachfiguren

Die von Kennern bewunderten "Lewis-Schachfiguren" – ein Satz bestens erhaltener Elfenbeinspielsteine aus dem Mittelalter – sind nicht nur wegen ihrer Kunstfertigkeit, sondern auch wegen des ungewöhnlichen Fundorts bekannt: Sie waren 1831 auf der entlegenen schottischen Hebrideninsel Lewis ausgegraben worden. Seitdem möchten Archäologen auch wissen, wo die Figuren einst hergestellt wurden. Als bester Tipp galt bislang Norwegen. Nun sehen Forscher aber eine alternative Hypothese bekräftigt: Vielleicht haben isländische Künstler einige der Figuren geschnitzt – aus Walrosszähnen wie solchen, die auf der Snæfellsnes-Halbinsel im Westen Islands gefunden wurden.

Seit dem 19. Jahrhundert sind auf dieser Halbinsel immer wieder alte Elfenbeinstoßzähne und Skelette von mittlerweile über 50 Walrossen aufgespürt worden. Offenbar hatten große Herden dieser Tiere dort seit jeher gerne Kolonien gegründet; einige der Zähne sind nach gerade veröffentlichten Radiokarbonanalysen mindestens 2000 Jahre alt. Auch im Mittelalter dürften daher siedelnde Wikinger genug Material für Schnitzarbeiten und als Handelsware vorgefunden haben.

Ein Bezug der Lewis-Schachfiguren zu Island war aber ohnehin schon vorher aus sprachwissenschaftlichen Gründen hergestellt worden: Die "Läufer"-Figuren unter den insgesamt 78 Lewis-Spielsteinen aus dem 12. Jahrhundert schnitzten die Künstler in zeremoniellen Gewändern, wie sie im nordischen Mittelalter von christlichen Bischöfen getragen wurden. Erst später setzte sich im englischen Sprachraum dann tatsächlich die Bezeichnung "Bishop" für "Läufer" durch. Um die Entstehungszeit der Figuren waren dafür im mittelalterlichen Englisch aber noch Varianten von "messenger" oder "runner" gängig, wovon sich auch im Deutschen dann der heute übliche Name "Läufer" ableitet. Ähnlich gilt das auch für die meisten mittelalterlichen skandinavischen Sprachen – mit Ausnahme des Isländischen, wo der Begriff "Bishop" zuerst auftauchte. Darin erkennen Forscher ein Indiz für die Bedeutung der isländischen Walrossschnitzer für die Entwicklung und Verbreitung des Schachspiels.

Neben der ungeklärten Herkunft verbinden sich mit den Lewis-Spielsteinen bis heute einige weitere Legenden. Sicher ist, dass der Fundort der Figuren, Lewis, im 12. und 13. Jahrhundert zum mittelalterlichen norwegischen Reich gehörte. Zwischen Norwegen und Island bestanden seit jeher gute Verbindungen und viele familiäre Bande; für junge isländische Männer war es etwa üblich, die Insel für einige Zeit gen Norwegen zu verlassen, bevor sie ihre Familien in der Heimat gründeten. Lewis-Steine sind heute in einer Sammlung des Britischen Museums ausgestellt und spielen etwa auch in der modernen Popkultur eine Rolle. Und die Figur der "Roten Königin" gilt als Vorlage für den Stein der Weisen im gleichnamigen "Harry-Potter"-Film.

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