Direkt zum Inhalt

News: Steinernes Kriegstagebuch

Mehrere unabhängige städtische Zentren bildeten die klassische Kultur der Maya - so die gängige Lehrmeinung. Doch eine zufällig entdeckte Inschrift könnte dieses Bild revidieren: Demnach prägte vor allem ein Krieg zweier Supermächte die klassische Maya-Zeit.
Bild
Iris zeigte keine Gnade. Im Oktober 2001 verwüstete der Hurrikan weite Teile Mittelamerikas und kostete mehrere Menschenleben. Tausende mussten evakuiert werden, die wirtschaftlichen Schäden in der Region waren beträchtlich.

Doch des einen Leid, ist des anderen Freud. Denn Iris schlug auch im Regenwald von Guatemala zu und entwurzelte hier zahlreiche Bäume. Und einer dieser gefällten Urwaldriesen stand auf den Grundmauern eines Tempels von Dos Pilas – und verbarg damit ein über 1300 Jahre altes Geheimnis: Eine Treppe mit Hieroglyphen aus der klassischen Maya-Periode.

Als Arthur Demarest von der Vanderbilt University die Treppe freilegte, ahnte er noch nicht die Bedeutung des Fundes. Doch sein Kollege Federico Fahsen hat jetzt die Inschrift entziffert – und traute zunächst seinen Augen nicht. Was er las, lässt die Geschichte der Maya in einem anderen Licht erscheinen.

Bisher gingen die meisten Archäologen davon aus, dass die klassische Periode der Maya, die von etwa 250 bis 900 nach Christus andauerte, durch Aufstieg und Verfall zahlreicher Maya-Städte geprägt war, die verhältnismäßig unabhängig voneinander ihre Politik betrieben. Dazu gehörte auch die Maya-Stadt Dos Pilas.

Doch Simon Martin vom University College London und Nikolai Grube von der Universität Bonn hatten an dieser Theorie der unabhängigen Stadtstaaten ihre Zweifel. Ihrer Meinung nach herrschten vor allem zwei miteinander rivalisierende mächtige Städte: Tikal in Nordguatemala und Calakmul im heutigen Mexiko.

Doch was erzählt nun die Treppe von Dos Pilas? Sie beschreibt die Geschichte des Königs Balaj Chan K'awiil, der am 15. Oktober 625 das Licht der Welt erblickte und nur vier Jahre später, 629, den Thron von Dos Pilas bestieg. Nach der Inschrift setzte ihn sein Bruder ein, der das 113 Kilometer südwestlich gelegene Tikal, damals unter den Namen Mutul bekannt, beherrschte. Demnach wäre Dos Pilas lediglich ein Außenposten von Tikal gewesen – allerdings ein nicht ganz unbedeutender, lief doch einer der wichtigsten Handelswege über die Stadt, welche das Hochland mit dem Tiefland verband und den Austausch wertvoller Güter wie Jade, Obsidian oder Quetzal-Federn sicherstellte.

Balaj Chan K'awiil erwies sich in den Folgejahren als treuer Vasall seines mächtigen Bruders und wird als tapferer Krieger beschrieben. Doch etwa 20 Jahre nach der Thronbesteigung begann sich das Blatt zu wenden: Krieger aus Calakmul eroberten die Stadt und zwangen den jungen König, die Seiten zu wechseln: K'awiil herrschte fortan als Marionette über Dos Pilas unter Calakmuls Gnaden.

Ein Jahrzehnt führte K'awiil einen erbitterten Krieg gegen seinen Bruder in Tikal – schließlich mit Erfolg. Er brachte seinen geschlagenen Bruder sowie weitere Angehörige der Oberschicht nach Dos Pilas und führte ein grausames Strafgericht durch, wie die Hieroglyphen der Treppe erzählen: "Das Blut wurde gesammelt und die Schädel der Menschen wurden aufgetürmt." Die Inschrift endet mit der Beschreibung des Siegestanzes des Königs.

Die Hieroglyphen bestätigen nach Ansicht der Forscher die Hypothese von Martin und Grube: "Statt eines unabhängigen Akteurs, wie bisher angenommen, scheint Dos Pilas eher die Rolle eines Bauern in einer viel größeren Schlacht gespielt zu haben", meint Demarest. "Übersetzt in die heutige Zeit entspräche Dos Pilas eher Somalia oder Vietnam – benutzt in einem Krieg zwischen zwei Supermächten."

Und dieser andauernde Krieg könnte auch das immer noch rätselhafte Ende der blühenden Hochkultur ausgelöst haben. Um 900 nach Christus waren die meisten Maya-Städte verlassen. Auch Dos Pilas nützte der Bündniswechsel vermutlich wenig: Zunächst konnte es sich als Regionalmacht behaupten – bis Tikal um das Jahr 695 Calakmul besiegte. Im Jahr 760 endet die Geschichte des Königreichs Dos Pilas.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.