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Astronomie: Stoßwellen aus dem Giganto-Galaxiencrash

Die Hyperfusion eines Galaxienclusters arbeitet als Teilchenbeschleuniger – millionenfach stärker als die leistungsfähigsten Geräte auf Erden.
Galaxiencluster

Vier massereiche Galaxienhaufen rauschen, fünf Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt, in einer Kollision galaktischen Ausmaßes ineinander und stapeln sich dabei zu einem gigantischen, aus tausenden Galaxien bestehenden Klumpen. So entsteht, wie Reinout van Weeren vom Harvard–Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) in Boston beschreibt, "einer der massereichsten Cluster, den wir kennen, geschaffen durch eines der komplexesten Verschmelzungsereignisse".

Das Hubble-Teleskop lieferte bereits Aufnahmen des Riesenhaufens "MACS J0717+3745" im optischen Wellenlängenbereich. Nun ergänzen das Chandra X-Ray Observatory und das Very Large Array in New Mexico die Aufnahmen mit Daten aus dem Radio- und Röntgenwellenbereich und machen bis dato unbekannte Details deutlich – etwa ein im Radiowellenbereich grell scheinendes, merkwürdig verbogenes Band im Zentrum des Riesenclusters. Die Astronomen vermuten dort eine Strahlungsquelle von hochenergetischen, elektrisch geladenen und beschleunigten Teilchen. Der Bereich überlappt zudem mit einer im Röntgenlicht sichtbaren Zone extrem heißen Gases von mehr als 100 Millionen Grad Kelvin – was nahelegt, dass hier eine starke Hitzestoßwellenfront als kosmischer Teilchenbeschleuniger agiert.

Galaxiencluster | Das Bild zeigt einen galaktischen Hypercrash: die kollidierenden Galaxien des Clusters MACS J0717+3745, kombiniert aus den Beobachtungsdaten von drei Beobachtungsgeräten. Blau dargestellt sind dabei Röntgenstrahlenquellen (gemessen von Chandra), rot die Radiowellen (gemessen vom Very Large Array). Der Hintergrund stammt vom Hubble-Teleskop.

Astronomen kennen ähnliche natürliche Teilchenbeschleunigungsprozesse bereits, besonders häufig treten sie in der Nähe von Supernovae auf. MACS J0717+3745 schlägt aber womöglich alle Rekorde: Die Daten lassen vermuten, dass die dort beschleunigten Teilchen millionenfach höhere Energien erreichen als etwa jene in Anlagen wie dem Large Hadron Collider in der Schweiz.

Langsamer Crash im All

Im Grunde läuft eine galaktische Kollision dabei gar nicht so dramatisch ab, wie man denken könnte: "Es handelt sich um einen eher gemächlichen Vorgang", so van Weeren, "die meisten beteiligten Galaxien fliegen einfach aneinander vorbei – wobei allerdings Gas zusammenstößt und dabei Hitzestoßwellen produziert." Die Schockfront resultiert dabei aus den komprimierten Magnetfeldern der kollisionsbedingt aufgeheizten Gaswolken. Denn die Felder stoßen Teilchen über die Schockfront hinweg hin und zurück, wobei diese bei jeder Passage Wärmeenergie aus dem Gas abzapfen und ansammeln. Irgendwann sind die Teilchen dann derart energiereich, dass sie aus dem System hinaus in den Weltraum entkommen.

Der höchst massereiche Hypercluster MACS J0717+3745 ist zudem eine der leistungsstärksten Gravitationslinsen, die Astronomen bisher kennen. Solche Linsen biegen mit ihrem enormen Schwerkrafteinfluss die Raumzeit in einem Prozess, den bereits Einstein in der allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt hatte: Lichtwellen nehmen eine Kurve um die Massezentren und können dabei wie gigantische Vergrößerungsgläser wirken. Dabei dürfte die MACS-J0717+3745-Linse wegen "der Komplexität des Clusters für besonders spannende Vergrößerungseffekte sorgen", hofft William Forman, ein Kollege von van Weeren am CfA. Diese Effekte möchte das Team nutzen: Das Hubble-Weltraumteleskop soll "zum vielleicht besten kosmischen Himmelsbeobachter" werden, wie Dan Coe von der Frontier-Field-Projektgruppe hofft. Denn die Linse vergrößere weitere Bereiche der entferntesten Regionen im Universum als alle anderen bis dato untersuchten Galaxiencluster. Bei sehr langen Belichtungszeiten entstehen so die tiefsten Blicke, die bisher in den Kosmos geworfen wurden.


Der Artikel ist im Original unter dem Titel "Gargantuan galaxy clash unleashes shockwave" in "Scientific American" erschienen.

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