Direkt zum Inhalt

News: Strebende Streben

Schlaff und formlos wären Pflanzenzellen, brächten nicht feine Streben an der Innenseite der Zellwand sie in Form. Wie sich dieses Gerüst organisiert, war bisher ein Rätsel. Fluoreszenzfarbstoffe beleuchteten nun den Weg der tragenden Stützen an den richtigen Ort.
Mikrotubuli
Niemand würde ein Haus aus wabbeligen Steinen bauen – so auch nicht Mutter Natur: Sie stabilisiert die Grundbausteine aller Lebewesen, die Zellen, durch hauchfeine Röhrchen, 2000-mal dünner als ein Haar. Ähnlich wie Zeltstangen die Zeltplane tragen, kleiden diese Mikrotubuli die Innenwand der Zelle aus und geben ihr dadurch Form und Stabilität. Anders als Zeltstangen stützen sie aber nicht nur, sondern transportieren zudem Stoffe innerhalb der Zelle und helfen bei der Zellteilung.

Doch woher wissen diese mulitfunktionalen Streben, wo sie was zu tun haben? Keine Frage – zumindest bei tierischen Zellen: Hier entstehen sie an einem zentralen Organisator, dem Centromer, und wachsen von dort aus auf ihren Zielort zu. Bei Pflanzenzellen sieht die Sache anders aus: Ihnen fehlt dieses strukturierende Element. Wie sich dort die Stützen aufbauen und organisieren, beobachteten nun zum ersten Mal unter dem konfokalen Mikroskop Sidney Shaw von der Stanford University sowie Roheena Kamyar und David Ehrhardt von der Carnegie Institution.

Die Forscher schleusten in ein weit verbreitetes Unkraut, der Ackerschmalwand Arabidopsis aus der Familie der Kreuzblütler, einen Fluoreszenzfarbstoff ein, der sich in der lebenden Zelle an die Mikrotubuli anheftete. Unter dem Mikroskop schossen die Biologen Fotos über einen Zeitraum von drei bis sechs Minuten im Abstand von zwei bis fünf Sekunden. So konnten sie im Zeitraffer beobachten, wie die feinen Stützen wachsen und sich entwickeln.

Die Röhrchen beginnen ihr Wachstum per Zufall: Startpunkte sind zahlreiche, zufällig verteilte Stellen dicht unter der Zellwand. Von dort lösen sie sich – anders als die Mikrotubuli tierischer Zellen, die permanent mit ihrem Ursprungsort, dem Centromer, verbunden bleiben – und wandern durch die Zelle.

Interessant ist dabei vor allem die Art der Fortbewegung, ein als treadmilling bezeichneter Mechanismus: Nach dem Prinzip "zwei Schritte vor, einen zurück" wachsen die Mikrotubuli an ihrem Vorderende, indem sie einzelne Bausteine anbauen, zum Teil wieder abbauen und erneut wieder anfügen. Im Endeffekt wird die Spitze dadurch stetig länger. Am Hinterende läuft der gegenläufige Prozess ab: Hier überwiegt der Ab- den Aufbau, sodass das Röhrchen hinten langsam schrumpft.

Die Mikrotubuli wandern also nicht wirklich, sondern "wachs-schrumpfen" im Tempo von rund einem halben Mikrometer pro Minute durch die Zelle. Treffen sie unterwegs auf andere Stützpfeiler, schließen sie sich diesen an und wachsen in deren Richtung weiter. Letztendlich entsteht eine schraubenförmige Stützstruktur aus zahllosen Röhrchen unter der Zellwand.

Der leuchtende Farbstoff zeigte den Wissenschaftlern zwar, wie die Mikrotubuli in Pflanzen wachsen und vorwärts kommen – woher sie wissen, dass sie auf andere Röhrchen gestoßen sind und wohin sie sich orientieren sollen, blieb jedoch im Dunkeln. Möglicherweise weisen ihnen noch unbekannte Proteine den Weg.

Das Wissen um den Wachstumsmechanismus pflanzlicher Mikrotubuli könnte sogar einen praktischen Nutzen haben: Vielleicht dient es einmal der Herstellung besserer Unkrautvernichtungsmittel, da die meisten dieser Chemikalien ihre Wirkung über Mikrotubuli entfalten. Diese feinen Röhrchen spielen auch bei der Verteilung der Cellulose in der Wand der Pflanzenzelle eine entscheidende Rolle; gelänge es, deren Einbau in die Zellwand gezielt zu manipulieren, könnten so verschiedene Biomaterialien hergestellt werden.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.