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News: Stress, Alkohol, die Gene und weiße Mäuse

Stress und Alkohol sind eine fatale Kombination: weniger stressresistente Menschen werden gerade unter erhöhten Belastungen häufiger suchtkrank. Helfen könnten solchen Menschen mit genetisch verursachter Veränderung der Stress-Regulation vielleicht neue Erkenntnisse von Wissenschaftlern, die nun Möglichkeiten aufgezeigt haben, auf welche Weise durch Medikamente der Entwicklung von stress-induziertem Alkoholmissbrauch vorgebeugt werden könnte.
Die Entwicklung von Alkoholismus lässt sich sowohl auf Umweltfaktoren als auch auf genetische Ursachen zurückführen. Ein besonders wichtiger Umweltfaktor ist dabei der Stress – er unterstützt nicht nur die Entwicklung von Alkoholmissbrauch, sondern auch anderer psychiatrischer Erkrankungen, wie beispielsweise Angststörungen, Depressionen und posttraumatischen Stress-Erkrankungen. Für die Entwicklung und die Ausprägung der Alkoholkrankheit spielt aber die genetische Disposition der Betroffenen ebenso eine wichtige Rolle.

Dieser Zusammenhang trifft interessanterweise auch für Labormäuse zu. Mit Hilfe molekularbiologischer Techniken ist es Wissenschaftlern um Florian Holsboer vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München jetzt gelungen, ein Mausmodell zu erzeugen, bei dem die zentrale Schaltstelle für die Stress-Reaktion gestört ist. Der von den Wissenschaftlern eingebaute Defekt der Knockout-Maus liegt in genau jenem Gen, das die Bauanleitung für den so genannten Corticotropin-Releasing-Hormone-Rezeptor Typ 1 trägt. Der Rezeptor reagiert normalerweise auf das Corticotropin freisetzende Hormon (CRH): das CHR wiederum ist ein Molekül, das der Organismus vermehrt bildet, wenn er einer Stress-Situation ausgeliefert wird – dies gilt übrigens bei Maus und Mensch gleichermaßen.

CHR steuert nicht nur die hormonelle Stress-Antwort, sondern koordiniert ebenfalls eine ganze Reihe von Verhaltensweisen, die geeignet sind, die Stress-Situation zu bewältigen. Im Gehirn bindet CRH nicht nur an den im Mausmodell ausgeschalteten CHR-Rezeptor Typ 1, sondern zudem in verschiedenen Regionen, die für emotionales Verhalten, wie beispielsweise Angst, relevant sind. Wird der Rezeptor Typ 1 gestört, so ist damit auch die zentrale Stress-Reaktion gestört.

Die Forscher haben nun an ihren Knockout-Mäusen nach der biochemischen Verbindung zwischen Stress und Alkoholauswirkungen gesucht und ihnen Alkohol zu trinken angeboten. In ihren Untersuchungen tranken die Mäuse, bei denen die zentrale Regulation der Stress-Antwort gentechnisch gestört war, zunächst die gleiche Menge Alkohol wie die genetisch intakten Tiere aus Kontrollgruppe. Wurden die Knockout-Mäuse jedoch wiederholtem Stress ausgesetzt, so reagierten sie, im Gegensatz zur Kontrollgruppe, über fünf Monate hinweg mit einer kontinuierlich verstärkten Aufnahme von Alkohol. Offensichtlich ist ein intaktes zentrales Stress-System erforderlich, um das Risiko zum Alkoholismus, das nach längerer Stress-Erfahrung entsteht, erfolgreich zu reduzieren oder auszuschließen.

Die Untersuchungen der Wissenschaftler an ihren alkoholkranken Knockout-Mäusen ergaben außerdem, dass der so genannte NR2B-Rezeptor, ein anderer Rezeptor im Gehirn, an den vornehmlich Glutamat bindet, in bestimmten Hirnregionen nach gewisser Zeit häufiger vorkam. Die Forscher vermuten dahinter eine Reaktion auf die Veränderungen im CHR-Rezeptor-Gen sowie den induzierten Stress. Der NR2B-Rezeptor reagiert wiederum auf Alkohol – offenbar trägt sein vermehrtes Auftreten in den Knockout-Mäusen Steigerung des Alkoholkonsums in diesen Tieren bei.

Vielleicht, so hofft Holsboer jetzt, eröffnen sich damit neue Möglichkeiten, wie durch Medikamente, die entweder auf das Stresshormon- oder das Glutamat-System gerichtet sind, der Entwicklung von stress-induziertem Alkoholmissbrauch vorgebeugt werden kann: Für Menschen mit genetisch verursachter Veränderung der Stress-Regulation könnte dies eine therapeutische Hilfe werden.

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