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Zooneurologie: Stress macht Schnecken vergesslich

<i>Lymnaea stagnalis</i> (wach)

Ein Team von Neurowissenschaftlern an der University of Calgary beschäftigt sich mit ungewöhnlichen Versuchstieren, um die Leistungsfähigkeit eines Gehirns im Alltagseinsatz zu testen: den Spitzschlammschnecken (Lymnaea stagnalis). Dabei fanden die Neuromalakologen um Ken Lukowiak schon heraus, dass Schokolade das Gedächtnis der Weichtiere verbessert. Allerdings geschieht das Gegenteil, so die Forscher nun nach neuen Experimenten, unter dem Einfluss von Stress. Denn je mehr die Weichtiere stört, desto schneller geraten sie beim Aufrufen von Lerninhalten durcheinander.

Für neugierige Kognitionswissenschaftler haben Schnecken den unschätzbaren Vorteil der Übersichtlichkeit: Die Weichtiere können zwar lernen – sich also zum Beispiel eine sinnvolle Reaktion auf Umweltreize einprägen –, merken sich diese Reaktion aber nicht sehr lange. Zudem sind am Lernprozess oft nur wenige Neurone beteiligt, anhand derer sich die beim Lernen ablaufenden neuronalen Prozesse nachvollziehen lassen. So untersuchten die Forscher etwa, wie die Schnecken ihre Atmung an die Umweltbedingungen anzupassen lernen: Normalerweise sind sie Hautatmer, in sauerstofflosen Gewässern fahren die Tiere jedoch im Bedarfsfall zusätzlich eine Atemröhre aus. Klopft ein Experimentator auf diesen Schnorchel, so verschließen die Tiere ihn rasch; geschieht das mehrfach hintereinander, so lernen die Schnecken und unterlassen auch in sauerstoffarmem Wasser die Hilfsatmung – bis sie schließlich wieder vergessen, was sie gelernt haben.

Mit diesem Trick haben die Forscher ermittelt, dass sich eine durchschnittlich begabte Schlammschnecke einen zuvor 30 Minuten geübten Lerninhalt rund drei Stunden lang merken kann. Unter besonders günstigen Umständen wandert das neu erworbene Wissen sogar in das Langzeitgedächtnis, und die Schnecken erinnern sich auch noch nach einer Nacht. Nun ermittelten die Forscher, dass Stress auch für Schnecken kein angenehmes Lernklima erzeugt: Sobald Schnecken unter Kalziummangel litten oder mit vielen Artgenossen gemeinsam in einem engen Gefäß gehalten wurden, vergaßen die Tiere ihre Lektion schneller wieder. Fast gänzlich lernunwillig zeigten sich Tiere unter multiplem Stress – also bei gleichzeitigem Kalzium- und Raummangel.

Die Forscher um Lukowiak können den Lernprozess ihrer Schnecken gut anhand neuronaler Aktivitätsmessungen überprüfen. So hängt der erlernte Verzicht auf das Ausfahren des Atemrohrs mit der Aktivität eines einzelnen Nervenbündels im Fuß der Schnecke zusammen: die Nervenbahn RPeD1 ("right pedal dorsal 1"), die als zentraler Taktgeber der Sekundäratmung fungiert. Die Aktivitätsmuster verändern sich, wenn die Schnecke lernt, das Atemrohr nicht mehr so häufig auszufahren. Dieses Wissen dürfte den Forschern nun die nächsten Schritte erleichtern: Sie möchten noch mehr über die Reize herausfinden, die den Schnecken das Lernen erleichtern oder erschweren.

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