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Ig-Nobelpreise 2008: Striptease für die Forschung

Trocken, verstaubt, abgehoben - viele Forschungsarbeiten sind das genaue Gegenteil. Und so stehen auch dieses Jahr wieder vor dem munteren Reigen der "echten" Nobelpreise erst einmal Erkenntnisse über Katzenflöhe, Knoten und Kartoffelchips im Rampenlicht.
Ig-Nobelpreise
Es gibt Leute, die behaupten, Frauen würden ihre fruchtbaren Tage nicht signalisieren. Im Vergleich zu näheren und entfernteren Verwandten mögen die zyklusbedingt schwankenden weiblichen Reize vielleicht wirklich schwächer ausgebildet sein, aber gänzlich verschwunden scheinen sie nicht: Rund um den Eisprung wird Frau von beiderlei Geschlechtern als attraktiver wahrgenommen, kreativer und sprachbegabter.

Macht sich das auch in harter Währung bemerkbar? Allerdings, stellten Geoffrey Miller von der University of New Mexico und seine Kollegen fest – und zwar deutlich: Striptease-Tänzerinnen verdienen während ihrer fruchtbaren Tage weit mehr Trinkgeld als in anderen Zyklusphasen. Die Forscher hatten dazu 18 Striptease-Profis über zwei Monate täglich Bericht erstatten lassen und statistisch ausgewertet – wobei sie vorsichtshalber in ihrem Paper der akademischen Leserschaft erst einmal eine Einführung in die Welt der Nachtbars geben [1].

Dieser grundlegende Beweis des ökonomischen Wertes weiblicher humaner Fertilitätssignale war der Organisation "Improbable Research" den Wirtschafts-Ig-Nobelpreis wert – als herausragendes Beispiel wissenschaftlicher Arbeit, "die erst zum Lachen und dann zum Denken anregt".

"Erst lachen, dann denken"

Alljährlich werden mit diesen Preisen Forscher geehrt, die Ungewöhnliches zu Tage brachten und Neugier wecken – vielleicht auch bei sonst eher Uninteressierten. Traditionell kurz vor den "echten" Nobelpreisen verliehen, demonstrieren sie, dass Wissenschaft alles andere als staubtrocken und abgehoben ist.

Ein gutes Beispiel für Obskures mit ernstem Kern ist auch der Ig-Nobelpreis für Chemie, der an zwei Forschergruppen vergeben wurde: an Sharee Umpierre von der University of Puerto Rico und Kollegen, die in Experimenten Coca-Cola als potentes Verhütungsmittel entlarvten – und taiwanesische Forscher, die zwei Jahre später belegten, dass dem keineswegs so ist. Zwar fanden auch sie einen gewissen spermientoxischen Effekt – insbesondere von Diät-Cola –, mehr aber auch nicht [2,3].

Der sich immer noch findende Mythos, eine Cola-Dusche direkt danach könnte eine Schwangerschaft verhindern, war in den 1950er Jahren entstanden – und hat offenbar noch immer Aktualität: Anfang der 1990er Jahre empfahlen nigerianische Forscher statt des unwirksamen Colas heimisches Bitter Lemon, das innerhalb einer Minute alle Samenzellen unbeweglich gemacht habe. Die bessere Methode wäre wohl, egal welchen dieser Softdrinks einfach zum Runterspülen der morgendlichen Pille zu verwenden.

Der Preis macht's

Apropos Pille: Nicht die Dosis, sondern der Preis macht's, stellten hier Dan Ariely von der Duke University und seine Mitarbeiter fest. Zumindest wenn es sich um Placebos handelte – je teurer das vermeintliche Präparat, desto besser die von Testpersonen berichtete Schmerzreduktion [4]. Ganz klar ein Fall für den Ig-Nobelpreis für Medizin.

Und auch der Preis ist nicht das einzige Kriterium, bei Kartoffelchips essen auch die Ohren mit: Indem Massimilian Zampini und Charles Spence von der University of Oxford den Höreindruck des kraftvollen Zubeißens manipulierten, konnten sie ihren Probanden suggerieren, die Snacks seien knackiger und frischer, als sie es tatsächlich waren [5]. Sie erhalten dafür den Ig-Nobelpreis für Ernährung.

Derart in die Irre lenken lässt sich Physarum polycephalum hingegen nicht. Der vielköpfige Schleimpilz nascht selbst gern und kundschaftet immer den kürzesten Weg zum nächsten Leckerbissen aus – selbst wenn er in einem Labyrinth steckt. Kurzerhand prüft er mit seinen sich amöboid bewegenden Pseudopodien die Alternativen, bis er die optimale Lösung gefunden hat [6]. Ein Fall von primitiver Intelligenz, schlossen Toshiyuki Nakagaki vom japanischen Forschungsinstitut RIKEN – und werden dafür nun mit dem Ig-Nobelpreis für Kognitionswissenschaften geehrt.

Unerwartete Intelligenzbestien

Wer sich wie P. polycephalum schleimartig ausbreiten kann, hat wenigstens ein Problem nicht: Knoten. Denn sonst entwickelt alles Lange, Dünne, Flexible – von der Haarsträhne bis zur Angelschnur – irgendwann hochkomplexe Knoten, berichteten Dorian Raymer und Douglas Smith von der University of California in San Diego – wenn man es nur lang genug in einer Kiste schüttelt [7]. Der Ig-Nobelpreis für Physik würdigt diese keineswegs wirre Erkenntnis.

Wirr ist manchmal auch, was Menschen sich so untereinander an den Kopf werfen. Und mag man noch so sehr Verständnis für den anderen haben, irgendwann ist es damit vorbei. David Sims von der Cass Business School in London hat sich an eine grundlegende Textanalyse gemacht, in welchen Worten von einem unmöglichen Verhalten berichtet wird [8]. Und erntet für diese sprachwissenschaftliche Meisterleistung den Ig-Nobelpreis für Literatur.

Dann doch lieber schweigen, mag sich mancher denken. Doch wer stets still und stumm in der Ecke steht, wird gern verkannt – Pflanzen könnten ein Lied davon singen. Der Eidgenössischen Ethikkommission für Biotechnologie im Außerhumanbereich war das ein Dorn im Auge: Sie forderten, dass auch bei dem uns umgebenden Grün die Würde der Kreatur zu achten sei [9]. Die Schweizer Bevölkerung gab ihnen Recht, und für diesen wichtigen sozialen Beitrag werden sie nun allesamt mit dem Ig-Nobelpreis für Frieden geehrt.

Unliebsame Mitgräber

Eher Unfrieden stiften hingegen Gürteltiere – zumindest unter Archäologen. Denn mit ihrer eigenen Graberei in aktuellen Grabungsstätten bringen sie so manches durcheinander. Wie stark sie das Gelände umwühlen und Fundstücke verfrachten, untersuchten Astolfo Mello Araujo von der Universidade de Sao Paulo und José Carlos Marcelino von der dortigen Stadtverwaltung [10].

Demnach zeigen die Gürteltiere keine Vorliebe dafür, ob sie Objekte nun nach oben oder unten verlagern, ebenso wenig interessiert sie deren Form, Größe oder Gewicht, und sie sind in der Lage, Artefakte über mindestens 20 Zentimeter Distanz zu vermischen. Wenigstens aber, so weit die gute Nachricht, sind die hinterlassenen Spuren so eindeutig, dass Archäologen sie entziffern können. Für diese tiefschürfende Aufklärung gab es den Ig-Nobelpreis für Archäologie.

Hoch hinaus statt tief hinunter wollten dagegen die Probanden von Michel Franc. Der Parasitologe untersuchte mit seinen Kollegen das Sprungvermögen von Flöhen. Demnach sind Hundeflöhe die besseren Hüpfer, denn sowohl was Weite als auch Höhe betrifft, übertrafen sie Katzenflöhe deutlich: Ein halber Meter war kein Problem [11]. Dieser Quantensprung brachte den Wissenschaftlern den Ig-Nobelpreis für Biologie – und wenn sie nun noch ermitteln, ob Sprungweite und Fortpflanzungsbereitschaft zusammenhängen, könnten sie bald wieder in Harvard im Rampenlicht stehen.

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  • Quellen
[1] Miller , G. et al.: Ovulatory Cycle Effects on Tip Earnings by Lap Dancers: Economic Evidence for Human Estrus? In: Evolution and Human Behavior 28, S. 375–381, 2007.
[2] Umpierre, S. A. et al.: Effect of 'Coke' on Sperm Motility. In: New England Journal of Medicine 313, S. 1351, 1985.
[3] Hong, C. J. et al.: The Spermicidal Potency of Coca-Cola and Pepsi-Cola. In: Human Toxicology 6, S. 395–396, 1987.
[4] Waber, R. L. et al.: Commercial Features of Placebo and Therapeutic Efficacy. In: Journal of the American Medical Association 299, S. 1016–1017, 2008.
[5] Zampini, M., Spence, C.: The Role of Auditory Cues in Modulating the Perceived Crispness and Staleness of Potato Chips .. In: Journal of Sensory Studies S. 347–363, 2004.
[6] Nakagaki, T. et al.: Intelligence: Maze-Solving by an Amoeboid Organism. In: Nature 407, S. 470, 2000.
[7]Raymer , D. M., Smith, D. E.: Spontaneous Knotting of an Agitated String. In: Proceedings of the National Academy of Sciences 104, S. 16432–16437, 2007.
[8] Sims, D.: You Bastard: A Narrative Exploration of the Experience of Indignation within Organizations. Organization Studies 26, S. 1625–1640, 2005.
[9] "The Dignity of Living Beings With Regard to Plants. Moral Consideration of Plants for Their Own Sake"
[10] Mello Araujo, A. G., Marcelino, J. C.: The Role of Armadillos in the Movement of Archaeological Materials: An Experimental Approach. In: Geoarcheology 18, S. 433–460, 2003.
[11] Cadiergues, M. C. et al.: A Comparison of Jump Performances of the Dog Flea, Ctenocephalides canis (Curtis, 1826) and the Cat Flea, Ctenocephalides felis felis (Bouche, 1835). In: Veterinary Parasitology 92, S. 239–241, 2000.

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