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Zukunft der Stadt: Strom aus dem Bunker

Ein Hamburger Flakbunker aus dem Zweiten Weltkrieg hat eine neue Aufgabe: Hier entsteht erneuerbare Energie und Nahwärme für das Wohngebiet Wilhelmsburg.
Strommasten

In Hamburg kann man sich der Energiewende auch von der kulinarisch-sinnlichen Seite nähern. Auf der Terrasse des 30 Meter hoch gelegenen Café Vju genießt der Besucher bei einem köstlichen Kaffee aus eigener Rösterei nicht nur die Aussicht auf die Hafenanlagen der Hansestadt. Von dort oben erschließt sich ihm quasi nebenbei, wie lokale und regenerative Energieerzeugung aussehen kann. Die beiden nahe gelegenen Wohnsiedlungen, auf die er ebenfalls blickt, beziehen ihre Wärme genau aus jenem ungewöhnlichen Gebäude, auf dem das Café thront: Es ist kein Wohn- oder Geschäftshaus, sondern ein ehemaliger Flakbunker aus dem Zweiten Weltkrieg.

Jahrzehntelang ragte der graue Klotz in die Landschaft, ohne dass er genutzt werden konnte. Er stand leer und verfiel. Schließlich wurde er im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Hamburg (IBA) in ein Ökokraftwerk umgewandelt. Drei Jahre dauerte die Transformation; seit 2013 fungiert der Bunker als weithin sichtbares Symbol der Zukunft. Strom und Wärme werden hier ganz ohne rauchende Schlote und Schornsteine erzeugt. Die Energie stammt erstens aus der Sonne, zweitens aus einem mit Biomethan befeuerten Blockheizkraftwerk und drittens aus der Abwärme eines nahe gelegenen Industriebetriebs. Auch den sieht man von der Caféterrasse.

"Zurzeit beliefern wir knapp 800 Wohnungen mit Wärme", sagt Joel Schrage, Projektleiter beim städtischen Versorger Hamburg Energie, der das Kraftwerk betreibt. "Und bis Ende des Jahres oder Anfang kommenden Jahres werden wir 900 weitere Wohnungen an das Nahwärmenetz anschließen." Wir verlassen die Terrasse und begeben uns in die so genannte Energiezentrale, die neun Stockwerke unterhalb des Cafés im Bauch des Bunkers liegt. Schrage deutet auf einen gigantischen, silbrig glänzenden Turm vor uns: 20 Meter hoch, 12 Meter im Durchmesser. Ein Großpufferspeicher, der zwei Millionen Liter Wasser enthält. Das ist etwa so viel Wasser wie in einem 50-Meter-Schwimmbecken.

Bezeichnend: Im Pufferspeicher wird Wärme gebunkert

In den Speicher gelangt die Wärme der Solarthermieanlage auf dem Dach, die Wärme des Blockheizkraftwerks (BHKW), das gleich neben dem Turm steht, sowie die Prozesswärme der Nordischen Oelwerke, die 300 Meter entfernt sind. Gewaltige Rohre durchschneiden den Raum, sie transportieren Wärme in Form von Wasser – zum Turm hin oder von ihm weg. Schrage klopft an den Speicher, einen mit dicker Isolierschicht umgebenen Stahltank: "Hier unten hat das Wasser eine Temperatur von 50 bis 60 Grad. Nach oben hin steigt sie bis auf über 90 Grad an. Der Pufferspeicher ist die zentrale Innovation dieses Projekts. Er 'bunkert' die Wärme und sichert somit die Versorgung." Außerdem puffert er Bedarfsspitzen ab. Der Speicher lädt sich in der Nacht auf, wodurch die benötigte Heizleistung morgens bereits zur Verfügung steht. Ab sechs Uhr steigt der Bedarf stark an. Die Spitzenheizlast wird dadurch um die Hälfte reduziert.

"Der Bunker sollte im wahrsten Sinne zivilisiert werden" Uli Hellweg

Der Wasserspeicher macht es möglich, erstmals großflächig erneuerbare Energie für die Wärmeversorgung eines dicht besiedelten Wohngebiets wie Hamburg-Wilhelmsburg zu nutzen. Außerdem konnte dank ihm die zu installierende thermische Erzeugerleistung von 11 auf 6,5 Megawatt gesenkt werden. Insgesamt werden 85 Prozent der benötigten Wärme im Bunker regenerativ erzeugt, die restlichen 15 Prozent liefern moderne Erdgaskessel. Der Strom des Blockheizkraftwerks und der blau schillernden Fotovoltaikmodule an der Südfassade des Bunkers wird teilweise im Gebäude selbst verbraucht, zum Beispiel für Pumpen und Steuerungen. Der Rest wird ins öffentliche Netz eingespeist.

Bevor die Energiezentrale samt Nahwärmenetz im Jahr 2013 in Betrieb genommen werden konnte, wurde der Bunker aufwändig saniert und umgebaut. "Rund 25 000 Tonnen Schutt mussten hier entfernt werden", sagt Schrage und zeigt auf eine verglaste Öffnung im Erdgeschoss, das hoch über unseren Köpfen liegt. Ein Teil der bis zu 2,50 Meter dicken Bunkerwände wurde geöffnet, damit die Bagger hier hineinfahren konnten. Der Schutt im Inneren des Gebäudes stammte aus der 1947 von den Briten versuchten Sprengung, bei der die meisten Stockwerke einstürzten. Nur die äußere Hülle des Bunkers blieb bestehen, bis auf einen Riss sogar fast unversehrt.

Leidvolle Vergangenheit

Das monströse Bauwerk, ein Stahlbetonwürfel mit einer Grundfläche von 47 mal 47 Metern und einer Höhe von 45 Metern, haben die Nationalsozialisten 1943 unter Einsatz von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen errichten lassen. Unvorstellbar, unter welch schrecklichen Bedingungen hungrige und ausgemergelte Gestalten hier schuften mussten. Damit ihr Leid nicht in Vergessenheit gerät, erinnert eine Ausstellung im Bunker an das hier während der Kriegszeit geschehene Unrecht. "Uns war es wichtig, dass die Umwandlung des Kriegsbauwerks nicht nur in technischer Hinsicht erfolgte", sagte Uli Hellweg, Geschäftsführer der IBA, zur Eröffnung. "Wir wollten, dass der Bunker im wahrsten Sinne des Wortes zivilisiert wird."

Verwandlung eines Kriegsbauwerks | Von Zwangsarbeitern gebaut, nun für saubere Energie genutzt: Der alte Flakbunker steht für eine neue Zeit.

Während der Luftangriffe fanden mehr als 10 000 Menschen Schutz in dem Gemäuer, das auf dem Dach obendrein über vier Flaktürme verfügte. Wo damals Kanonen lagerten und der Himmel nach feindlichen Bombern abgesucht wurde, fangen heute Sonnenkollektoren Wärme ein. Mit einer Kollektorfläche von 1350 Quadratmetern bringt die Anlage es auf eine thermische Leistung von 750 Kilowatt.

Ab Sommer dieses Jahres wird zudem die Prozesswärme aus der etwa 300 Meter entfernt gelegenen Betriebsanlage der Nordischen Oelwerke abgezweigt und in den Energiebunker geleitet. Pro Jahr soll sich den Berechnungen zufolge eine Wärmeproduktion von 3600 Megawattstunden ergeben; damit würde diese industrielle Abwärme rund 15 Prozent zum Energiemix des Bunkers beitragen. Für die Notversorgung stehen neben dem Wasserspeicher und dem Biomethan-BHKW noch vier konventionelle Erdgaskessel bereit.

Dies ist der zweite Teil unserer neuen Serie zur "Zukunft der Stadt". Ebenfalls erschienen:
  1. Wie intelligent darf die Stadt der Zukunft sein?

Geplant ist in der Energiezentrale später auch der Bau eines Holzhackschnittkessels, der seine Wärme ebenfalls an den Großpufferspeicher abgeben würde. Als Brennmaterial sollen bewusst nicht Holzpellets dienen, die aufwändig industriell hergestellt werden, sondern grobe, ungetrocknete Holzstücke, die bei der städtischen Grünpflege anfallen, sowie das Durchforstungsholz aus Hamburg und Umgebung. Dieser Kessel würde dann knapp die Hälfte der Wärmeproduktion übernehmen.

"Ziel ist es, am Ende der Ausbauphase rund 22 500 Megawattstunden Wärme zu erzeugen und fast 3000 Megawattstunden Strom", erklärt Joel Schrage. Das bedeutet Wärme für mindestens 3000 Haushalte und Strom für etwa 1000. Durch die Verknüpfung von verschiedenen regenerativen Techniken können 95 Prozent des Treibhausgases Kohlendioxid gegenüber einer konventionellen Energieerzeugung eingespart werden. Nach Angaben des städtischen Versorgers wären das 6600 Tonnen CO2 pro Jahr.

Außerdem wird hier in Kombination mit verschiedenen Hochschulen an einem Forschungsprojekt gearbeitet, das sich unter anderem mit den Möglichkeiten zur Umwandlung von Windstrom in Wärme beschäftigt ("Power to Heat").

Man sieht: In Hamburg-Wilhelmsburg hat die Zukunft schon begonnen. Ein Bunker als Ökokraftwerk – das ist wohl einmalig auf der Welt. Ebenso wie die Kombination aus Großpufferspeicher und einem vielfältigen Mix aus regenerativen Energien. Da staunen auch Architekten, Ingenieure und Energietechniker aus anderen europäischen Ländern, aus den USA und Kanada, aus Japan, China, Südkorea. In den vergangenen eineinhalb Jahren nahmen auffallend viele Besucher aus Asien an den Fachführungen durch den Energiebunker teil. Nur die Energieminister der G7 ließen sich das bei ihrem Treffen Mitte Mai in Hamburg entgehen. Schade eigentlich. Immerhin schickten sie ihre Referenten.

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