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News: Tanz der Ladungen

Wie einzelne Puzzleteile greifen die verschiedenen DNA-Bausteine ineinander und setzen sich zur genetischen Grundausstattung zusammen. Chemische Bindungen verleihen dem fadenförmigen Molekül die Gestalt einer Doppelschraube. Doch auch dieser starr erscheinenden Struktur wohnt eine gewisse Dynamik inne, denn elektrische Ladungen wandern innerhalb der langen Kette hin und her. Ihre Bewegungen sind nicht allein dem Zufall überlassen, sondern werden offenbar durch Moleküle aus der Nachbarschaft mitgesteuert.
Verschlüsselt in der chemischen Sprache der DNA liegt unsere Erbsubstanz in Form zweier umeinander gewundener Stränge in jeder Körperzelle vor. Diese Doppelhelix ist einer Strickleiter mit starren Sprossen vergleichbar, die zu einer Spirale verdreht ist: Ihre Holme entsprechen dem aus Zucker- und Phosphatmolekülen gebildeten DNA-Rückgrat, und die Sprossen stellen die Stickstoffbasen dar. Chemische Bindungskräfte und Wechselwirkungen zwischen den Bausteinen sorgen zwar für den notwendigen Zusammenhalt und die Stabilität des Moleküls, doch zwängen sie es keinesfalls in ein starres Korsett.

Vielmehr entfaltet die DNA durchaus ein gewisses Eigenleben: Zelluläre Oxidationsprozesse und alltägliche äußere Einflüsse wie das Sonnenlicht brechen vereinzelt Elektronenbindungen auf und hinterlassen nunmehr frei bewegliche Elektronen und so genannte Elektronenlöcher. Auch jene positiv geladenen Leerstellen sind in der Lage, innerhalb des Moleküls zu wandern. Teilweise entfernen sie sich sogar bis zu 30 Nanometer von ihrem Ursprungsort und dringen als radikale Kationen auch in hochempfindliches Terrain vor, wo von ihnen ausgelöste Reaktionen Schäden im genetischen Bauplan hervorrufen können.

Bereits seit längerem widmen sich Gary Schuster und seine Kollegen vom Georgia Institute of Technology der Erforschung dieses Phänomens. Um dem Geheimnis der wandernden Elektronenlöcher auf die Spur kommen und die zugrunde liegenden Mechanismen aufzudecken, simulierten die Forscher mithilfe von Computerprogrammen die Dynamik von Molekülen und berechneten komplexe Elektronenstrukturen. Wie ihre Analyse zeigte, beeinflusst neben der Doppelhelix selbst insbesondere die Umgebung des DNA-Moleküls, welche Richtung die Elektronenlöcher einschlagen. Nicht nur das Stützgerüst des Erbfadens und seine Stickstoffbasen kontrollieren deren Wanderweg, sondern vermutlich ebenfalls Wassermoleküle und Natriumionen in unmittelbarer Nachbarschaft.

Dabei verhalten sich die einzelnen Komponenten getreu den physikalischen Prinzipien: Ausgelöst durch Wärmeeinwirkung wirbeln elektrisch geladene Teilchen in wässrigen Lösungen willkürlich herum. Doch auch diese zufälligen Bewegungen unterliegen gewissen Grenzen, wenn Teilchen mit gleicher Ladung aufeinanderzutreffen drohen: So weichen positiv geladene Elektronenlöcher sich nähernden Natriumionen mit positiver Ladung aus, woraus "ein sich gegenseitig bedingender Tanz der beiden resultiert", wie Uzi Landman aus dem Forscherteam bildhaft erläutert.

Um die theoretischen Überlegungen zu verifizieren, sammelten die Forscher zusätzlich experimentelles Datenmaterial. Dazu modifizierten sie einen Abschnitt des DNA-Rückgrates, indem sie die negativ geladenen Phosphate durch Methylphosphonate derselben Größe ersetzten, aber im Gegensatz zu den natürlichen Bausteinen trugen diese Verbindungen keinerlei Ladungen. Diese Veränderung wirkte sich gravierend auf das Wanderverhalten der elektrischen Ladungen aus, denn das Stützgerüst der Doppelhelix zog nun keine Natriumionen mehr an. Dadurch fehlten den Elektronenlöchern die gleich geladenen Gegenspieler, die bislang ihre Wege mitbestimmten, und kamen infolgedessen mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Stillstand.

Die Versuchsergebnisse könnten nicht nur zu einem besseren Verständnis beitragen, wie unsere Erbsubstanz durch oxidative Prozesse geschädigt wird, sondern ebenfalls neue Hinweise auf Anwendungsmöglichkeiten der Doppelhelix in der Nanotechnologie liefern. Anhand weiterführender Untersuchungen hoffen die Forscher, demnächst die einzelnen Schritte zu enthüllen, die in die Ladungsbewegungen und die DNA-schädigenden Reaktionen verwickelt sind. Zudem wollen sie herausfinden, ob die DNA-Stränge eventuell nicht-kodierende Regionen enthalten, die zum Schutz empfindlicher Bereiche elektrische Ladungen einfangen.

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