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Meeresbiologie: Tiefe Einblicke

Die Entdeckung der Hydrothermalquellen in der Tiefsee gehörte zu den wissenschaftlichen Sensationen der 1970er Jahre: Eine vollkommen fremde Tierwelt offenbarte sich hier den Meeresforschern - wie etwa die Röhrenwürmer, deren Existenz allein auf endosymbiontischen Bakterien beruht. Doch wie gelangen diese nützlichen Keime ins Innere der Würmer?
Riftia pachyptila
Heiß und giftig. Die Umwelt der Hydrothermalquellen der Tiefsee erscheint auf den ersten Blick wenig einladend. In dicken, schwarzen Wolken schießt hier aus Erdspalten über 300 Grad heißes Wasser, in dem neben vielen Mineralien vor allem ein starkes Zellgift gelöst ist: Sulfid – besser bekannt in seiner gasförmigen, nach faulen Eiern stinkenden Version Schwefelwasserstoff.

Doch gerade in dieser Substanz liegt das Geheimnis der ungewöhnlichen Lebewelt. Denn Bakterien wissen das Gift als ergiebige Energiequelle zu nutzen, indem sie es mit dem in der Tiefsee ausreichend vorhandenen Sauerstoff oxidieren. Und von den Bakterien wiederum ernährt sich – direkt oder indirekt – die hier lebende Fauna. Auf der Grundlage der chemosynthetischen Aktivität der Schwefelbakterien stellen Hydrothermalquellen damit Lebensräume dar, die unabhängig von der Sonnenenergie und der auf sie beruhenden Fotosynthese existieren.

Riftia pachyptila | In dicht gedrängten Gruppen sitzen die Röhrenwürmer der Art Riftia pachyptila am Rand von Hydrothermalquellen in 2500 Meter Tiefe. Ohne Mund und After ernähren sie sich von in ihrem Körper lebenden symbiontischen Schwefelbakterien, die aus der Oxidation von Sulfid mit Sauerstoff ihre Energie beziehen. Gut zu erkennen sind die rot gefärbten Kiemen der Tiere, mit denen sie beide Substanzen aufnehmen und anschließend zu ihren Symbionten im Trophosom transportieren.
Besonders heimisch fühlen sich hier die Röhrenwürmer, wie zum Beispiel die Art Riftia pachyptila. Die bis zu einen Meter großen, festsitzenden Tiere verzichten ganz auf Mund und After und zeigen – außer Kiemenbüschel – auch sonst keine besonderen Organe für die Ernährung. Sie bestehen im Grunde lediglich aus einem geschlossenen Sack. Dieses Gebilde – das Trophosom – ist wiederum vollgepackt mit symbiontischen Bakterien, die fleißig Sulfid oxidieren, sich dabei kräftig vermehren und so ihren Gastgeber ernähren. Dem Wurm bleibt nur die Aufgabe, seine Symbionten mit genügend Sauerstoff und Sulfid zu versorgen.

So weit, so gut. Doch wie kommt Riftia überhaupt zu seinen nahrhaften Gästen? Schließlich beginnt jedes Wurmleben zunächst bakterienfrei, die Tiere müssen sich also während ihrer Jugend mit ihren zukünftigen Versorgern infizieren. Die Frage ist nicht ganz leicht zu beantworten, sind doch die Röhrenwürmer an Drücke gewohnt, wie sie in 2500 Meter Wassertiefe vorherrschen – was ihre Laborzucht nicht gerade vereinfacht.

Im Gegensatz zu den ausgewachsenen Tieren besitzen die Larven durchaus noch alles, was ein Wurm zum freien Leben braucht – also Mund, After und einen Darm. Daher vermuteten Meeresforscher bisher, dass die Riftia-Larven ihre Symbionten schlicht fressen, aber dann nicht verdauen. Vielmehr bleiben die Bakterien im Darm, der sich dann in jenen geschlossenen Sack verwandelt. Das Trophosom wäre demnach nichts anderes als umgebaute Eingeweide.

TASC | Die Wissenschaftler versenkten große Würfel aus Hart-PVC (TASC; tubeworm artificial settlement cubes) auf denen sich innerhalb eines Jahres die drei Röhrenwurm-Spezies Riftia pachyptila, Oasisia alvinae und Tevnia jerichonana niederließen.
Andrea Nussbaumer und Monika Bright von der Universität Wien gingen nun zusammen mit Charles Fisher von der Universität des Staates Pennsylvania das Geheimnis der Röhrenwürmer an. Die Biologen versuchten erst gar nicht, die Tiere im Labor zu züchten, sondern verlegten ihre Zucht in die Tiefsee: Bei Hydrothermalquellen des Ostpazifiks versenkten sie "künstliche Röhrenwurmbesiedlungswürfel" – kurz TASC (tubeworm artificial settlement cubes) genannt – schlichte Gebilde aus dem Baustoff Hart-PVC.

Ein Jahr später kehrten die Meeresbiologen wieder an den Einsatzort zurück, um nachzusehen, ob sich auf ihren TASCs etwas getan hatte. In der Tat: Alle drei hier bekannten Röhrenwurm-Spezies – Riftia pachyptila, Oasisia alvinae und Tevnia jerichonana – hatten sich auf den Würfeln häuslich niedergelassen. So gelangten verschiedene Altersstadien der Würmer in die Netze der Forscher und schließlich unters Mikroskop.

Riftia-Larve | Die 250 Mikrometer großen Larven von Riftia pachyptila besitzen – anders als die erwachsenen Tiere – noch ein vollständiges Verdauungssystem aus Mund, Darm und After, das später durch das mit Symbionten bepackte Trophosom ersetzt wird. Nach Ansicht der Forscher entsteht dieses jedoch nicht aus dem Darm, sondern aus mesodermalem Gewebe.
Bright und ihre Kollegen bestätigten zunächst Altbekanntes: Die Wurmbabys sind symbiontenfrei. Doch auch im Darm älterer Stadien waren keine Symbionten nachzuweisen. Schlussfolgerung: Die Larven verspeisen die Bakterien restlos, eine Symbiontenbesiedlung über den Darm fällt aus.

Fündig wurden die Forscher an anderer Stelle: auf der Haut der Wurmlarven. Offensichtlich benutzen die Bakterien nicht die Mundöffnung, sondern die Körperoberfläche ihrer Wirte als Einlasstor. Von hier aus wandern die Keime in tiefere Schichten und gelangen schließlich in mesodermales Gewebe – also jene Zellen, aus denen später beispielsweise die Muskulatur entsteht.

Schließlich wandelt sich nach Überzeugung der Forscher das infizierte Mesoderm – und nicht das darmbildende Entoderm – zum Trophosom um. Sobald der Symbiontensack fertig ist, sterben alle anderen bakterienhaltigen Zellen ab, sodass die nützlichen Keime nur noch da übrig bleiben, wo der Wurm sie haben möchte.

Dem genügsamen Dasein inmitten heißer, giftiger Umgebung steht von nun an nichts mehr im Wege.

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