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Stress: Tiefenwirkung

Das Herz rast, der Blutdruck steigt, der Blick zur Uhr wird immer schneller und nervöser. Ungeduld und mangelnde Konzentration lassen Fehler entstehen, die gereizte Laune macht schlechte Stimmung. So weit die offensichtlichen Folgen von Stress. Doch es gibt auch kleine, im Verborgenen der Zellen - und die sind nicht weniger gravierend.
Stress

Stress ist heute ein Alltagsphänomen. Selbst im Privatleben, das Ausgleich bieten könnte zum anstrengenden Beruf, fühlen sich viele Menschen überfordert. Der Körper reagiert auf die ständige Belastung missgelaunt und honoriert die mangelnde Ruhe mit gesundheitlichen Folgen von verschlechterter Immunabwehr bis zu einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Werden die Signale ignoriert, drohen ernste Konsequenzen.

Und Stress macht alt – nicht nur beim Blick in den Spiegel. Wer chronisch überlastet ist, sieht nicht nur abgekämpft aus, er muss auch früher mit typischen Altersbeschwerden rechnen. Aber gilt das auch für einzelne Zellen? Elissa Epel von der Universität von Kalifornien in San Francisco und ihre Kollegen richteten nun einen gründlichen Blick auf den dortigen Ort des Geschehens, das Erbgut. Oder genauer gesagt: die Telomere.

Telomere dienen als Schutzkappen der empfindlichen Chromosomenenden. Sie werden bei jeder Zellteilung ein Stückchen kürzer, weil bei der Verdopplung des Erbgutfadens immer ein kleiner Rest übrig bleibt, der kein entsprechendes Gegenüber mehr bekommt. Wird die Schutzkappe zu dünn, sterben die Zellen schließlich ab. Die Länge der Telomer-Sequenzen kann daher als eine Art Anzeiger für das "biologische" Alter einer Zelle verwendet werden – sollte sich Dauerstress also durch vorzeitiges Vergreisen ihrer Zellen äußern, könnte sich das in der Telomerlänge widerspiegeln, überlegten sich die Forscher.

Ähnliches sollte sich in der Aktivität der Telomerase wiederfinden lassen. Das Enzym ist dafür zuständig, an die Telomer-Enden immer wieder ausgleichend DNA-Schnipsel anzuhängen und die Telomere auch sonst zu schützen. Sein Arbeitseinsatz lässt aber im Alter einer Zelle nach – mit entsprechenden Folgen. Dabei kann oxidativer Stress die schützenden Kappen offenbar verkürzen, während Antioxidanzien den Abbau bremsen.

Psychischer Stress führt also zu Altern, Zellstress zu Zellaltern – oder hängen die Prozesse auch zusammen? In anderen Studien hatten die weißen Blutkörperchen von Frauen, die sich selbst als gestresst einstuften, auch Hinweise auf größeren oxidativen Stress aufgewiesen. Darum wählten Epel und ihre Kollegen eine Gruppe Frauen, die von Stress wohl ebenfalls ein Lied zu singen wissen: Sie pflegen seit Jahren ihre chronisch kranken Kinder. Zur Kontrolle untersuchten die Wissenschaftler Mütter gesunder Kinder.

Das Ergebnis scheint klar: Je länger Mütter bereits kranke Kinder pflegten, desto kürzer waren unabhängig vom eigentlichen Alter ihre Telomere, desto niedriger lag die Aktivität der Telomerase und desto deutlicher zeigten ihre Zellen Anzeichen für oxidativen Stress. Dies stimmte auch mit den Ergebnissen eines Fragebogens überein, in dem die Teilnehmerinnen selbst ihre Stressbelastung einstufen sollten. Als die Forscher die Telomere der nach Selbsteinschätzung am stärksten und am wenigsten gestressten Frauen verglichen, lag der Unterschied in der Telomerlänge bei durchschnittlich 550 Basenpaaren.

Was bedeutet das? Die Telomerverkürzung beschleunigt sich mit dem Alter und erreicht bei 50- bis 70-Jährigen etwa 60 Basenpaare pro Jahr. Bei jungen Erwachsenen läuft der Prozess jedoch deutlich langsamer ab. Also mittelten Epel und ihre Kollegen verschiedene Literaturangaben und kamen für die Altersspanne ihrer Frauen – 20 bis 50 Jahre – auf eine Abnahme von 31 bis 63 Basenpaare pro Jahr. Oder umgerechnet: Die untersuchten Zellen der stark gestressten Frauen waren biologisch gesehen bereits um 9 bis 17 Jahre älter als die der weniger belasteten Teilnehmerinnen.

Psychischer Stress scheint sich also bis auf die niedrigste Zellebene auszuwirken. Doch bleiben noch viele Fragen offen, darunter vor allem: Sind die Ergebnisse aus Immunzellen überhaupt übertragbar auf andere Körperzellen? Erst umfangreiche Langzeitstudien mit regelmäßiger Beobachtung der Telomerlängen und Enzymaktivitäten von unterschiedlich gestressten Personen können hier Licht ins Dunkel bringen, erklären die Wissenschaftler. Uns bleibt bis dahin nur, den eigenen Stress so gut als möglich zu begrenzen – damit er uns nicht auf allen Ebenen so alt aussehen lässt.

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