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Katastrophale Phase-1-Studie: Tödlicher Medikamententest durch Kette von Versäumnissen

Ermittler decken auf, warum ein Medikamententest Anfang 2016 katastrophal fehlschlug: Offenbar war der experimentelle Wirkstoff ungenügend getestet, die Dosis zu hoch und die Versuchsdurchführung zweifelhaft.
Der Weg zum fertigen Medikament ist lang

Anfang 2016 waren nach einer Phase-1-Studie, in der ein neues Medikament an Freiwilligen getestet wurde, ein Proband verstorben und fünf Teilnehmer mit schweren Gesundheitsschäden im Krankenhaus gelandet. Nach Ursachen wird seitdem gesucht. Nun präsentiert ein Beitrag in "Science" ein Zwischenergebnis: Der Wirkstoff BIA 10-2474 war wohl ungenügend vorgetestet, die Dosis dann zu hoch und die Versuchsdurchführung zweifelhaft.

BIA 10-2474 hemmt die Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH), die im Endocannabinoid-Stoffwechsel des Gehirns eine Rolle spielt. Pharmafirmen wie die US-Firma Pfizer hatten sich bereits seit Langem für Hemmstoffe dieses Enzyms interessiert, waren aber beim Test verschiedener Substanzen erfolglos geblieben. Das portugiesische Pharmaunternehmen Bial hatte mit BIA 10-2474 einen weiteren, tragisch geendeten Versuch unternommen. Das Medikament sollte eigentlich einmal gegen Angststörungen und motorische Probleme der Parkinsonerkrankung helfen und chronische Schmerzen von Alzheimerdemenz- und Krebspatienten lindern.

Offenbar, so nun die Untersuchung, war zuvor aber nicht ausreichend getestet worden, ob die Substanz nur die anvisierten Enzyme beeinflusst – also eine so genannte Off-Target-Wirkung hat. Wie sich bei den Nachforschungen herausstellte, beeinflusst BIA 10-2474 sogar viele andere Enzyme des Fettstoffwechsels in menschlichen Zellen. Unter anderem scheint es auch das Enzym PNPLA6 zu stören, das Forschern schon bekannt war: Eine Mutation im PNPLA6-Gen geht mit neurologischen Störungen einher. Womöglich erklärt dies die Hirnschäden, die bei den Probanden des tragischen Tests aufgefallen waren. Dies sei allerdings bisher nicht belegt, so die Autoren der Studie.

Üblicherweise treiben Medikamentenentwickler großen Aufwand, um vor einem Test an Menschen eine Off-Target-Wirkung abzuklären: Man kann etwa durch radioaktive Markierungsexperimente in Geweben testen, an welchen Proteinen Substanzen interagieren oder im Computer das Bindungsverhalten und mögliche toxische Nebenwirkungen modellieren. Offensichtlich waren solche Versuche bei BIA 10-2474 mangelhaft. Zudem wundern sich die Forscher rückwirkend über die vergleichsweise hohe Dosis des experimentellen Wirkstoffs, die die Freiwilligen schon in den ersten Versuchen erhalten hätten – und darüber, dass laut Versuchsprotokoll alle sechs Teilnehmer gleichzeitig ihre Medikamentendosis erhalten hatten statt nacheinander, um Auswirkungen einzeln abwarten zu können. Ein solches simultanes Vorgehen war schon als eine Hauptursache für den katastrophalen Medikamententest ausgemacht worden, der 2006 in England bei freiwilligen Teilnehmern zu Multiorganversagen geführt hatte.

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