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Neurobiologie: Ton für Ton geführt

Vögel tun es, Frösche, Insekten und sogar manche Fische: Sie verführen das weibliche Geschlecht mit Gesang. Grillendamen scheren sich dabei offenbar wenig um die Qualität des Liebesliedes, sondern folgen dem Gesang eher reflexartig.
Mittelmeer-Feldgrille klein
An lauen Sommerabenden, wie wir sie gerade wieder genießen, sind die Wiesen und Felder erfüllt vom zarten Zirpen der Grillen und Heuschrecken. Allerorten versuchen die Grillenmännchen, sich für das andere Geschlecht interessant zu machen: Sie zücken ihre Musikinstrumente – ihre Flügel – und reiben die gezähnte Schrill-Leiste des einen Flügels an der Schrillkante des anderen Flügels. So rufen sie mit stilvollem tsiip-tsiip-tsiip-tsiip nach Weibchen. Die, von dem unwiderstehlichen Gesang ganz in Bann gezogen, machen sich auch sogleich auf den Weg zum nächsten Bewerber.

Doch nach welchen Gesichtspunkten wählen die Grillendamen ihren Verehrer aus? Lauschen sie erst einmal in Ruhe dem Lied und beurteilen es nach Lautstärke oder Gesangsmuster? Oder rennen sie beim ersten Ton eines Liebesliedes einfach los? Bertold Hedwig und James Poulet von der Universität Cambridge wollten genau wissen, welche auditorischen Faktoren die Weibchen zu ihren Freiern lenken.

Mittelmeer-Feldgrille | Die Weibchen der Mittelmmeer-Feldgrille folgen dem Lockruf der Männchen, indem sie ihren Körper nach jedem einzelnen Ton neu in die richtige Richtung orientieren.
Dazu klebten sie erwachsenen weiblichen Mittelmeer-Feldgrillen (Gryllus bimaculatus) mit Wachs ein Metallstäbchen an das erste Rumpfsegment fast am Schwerpunkt des Tieres. Dann setzten sie das fixierte Insekt auf einen kleinen Ball, der auf einen sanften Luftstrom frei schwebte. Festgehalten von dem Metallstift kam das Tierchen nicht voran noch konnte es sich drehen – doch jede noch so feine Beinbewegung versetzte den Ball in leichte Rotation. Diese wurde von einem Computer aufgezeichnet und analysiert. Mit diesem Trick konnten die Wissenschaftler die Laufrichtung der Grille Schritt für Schritt mit hoher zeitlicher Auflösung verfolgen.

Rechts und links der Längsachse der Grillendame waren vor ihr zwei Lautsprecher installiert, aus dem ein Zirpen aus sechs Pulsen erklang. Der Lockruf war so aufgeteilt, dass abwechselnd zwei Töne von links, zwei von rechts und wieder zwei von links lockten. Von einer Seite kamen also doppelt so viele Rufe als von der anderen Seite – diese Richtung sollte für die Insekten also interessanter sein.

Wie erwartet marschierten die Grillen auch alle auf den Lautsprecher zu, der mehr Töne von sich gab. Eine Überraschung hielt aber die Aufzeichnung der Beinarbeit der Insekten bereit: Die Beine lenkten den Ball gleichermaßen nach links wie nach rechts aus. Die Tiere steuerten also reflexartig auf jeden Geräuschpuls hin in die entsprechende Richtung. Dementsprechend resultierte die Gesamtlaufrichtung auf den Lautsprecher zu, aus dem mehr Pulse kamen, aus der höheren Anzahl von Tönen von dieser Seite. Änderten die Forscher die Tonabfolge, sodass aus jedem Lautsprecher abwechselnd nur jeweils ein Puls kam, hoben sich die seitlichen Auslenkungen der Beine gegenseitig auf, und die Tierchen krabbelten geradeaus auf die Mitte zwischen den Lautsprechern zu.

Grillenweibchen laufen aber nicht nur zu den Männchen, sondern sie erreichen diese auch durch die Luft. Deswegen nahmen die Wissenschaftler auch die Körperbewegungen der Insekten im Flug unter die Lupe. Sie fixierten die Tiere per Metallstäbchen in einem konstanten Luftstrom – dadurch zwangen sie die Tiere, zu fliegen – und ließen wieder zwei rechts und links vor ihnen platzierte Lautsprecher abwechselnd verführerisch zirpen. Genau wie zu Fuß orientierten sich die Grillen auch im Flug zu dem Lautsprecher, der mehr Lockrufe von sich gab.

Die Mittelmmeer-Feldgrille folgt also dem Gesang des Männchens quasi Ton für Ton. Diese Reaktion läuft reflexartig schnell ab – die Seitbewegung erfolgt mit nur knapp 60 Millisekunden. Die Grille nimmt sich also nicht die Zeit, erst das Gesangsmuster zu analysieren, bevor sie losläuft. Die Forscher schließen allerdings nicht aus, dass das Muster noch modulierend auf die Fortbewegung einwirken könnte.

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