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Wanderung des Menschen: Transsibirische Immigranten

Der Uramerikaner stammt bekanntlich aus Asien. Aber woher kam seine Familie vor dem Trip in die Neue Welt? Schon aus weiter Ferne, meinen Paläogentiker.
Idyll am Baikalsee

Der Mensch hat Amerika vor mehr als 20 000 Jahren entdeckt: Pioniere aus Asien wanderten über die Beringia-Landbrücke zwischen Sibirien und Alaska, siedelten dort in der mit Jagdbeute üppig ausgestatteten Landschaft und eroberte schließlich, sobald die schmelzenden Gletscher dies zuließen, in mehreren Wellen erstaunlich schnell die Neue Welt von Norden bis hinunter nach Feuerland. Dazu passt, dass genetische Verwandtschaftsanalysen vor allem enge Bande zwischen den heute lebenden amerikanischen Ureinwohnern und Ostasiaten verraten. Allerdings nicht zu allen – und zudem blieb bisher mysteriös, wieso die Uramerikaner auch typisch europäische Gensequenzen tragen, die sich lange vor der Ankunft von Kolumbus in ihren Genpool gemischt haben müssen. Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen und ein vielköpfiges internationales Team von Paläogenetikern glauben, nun eine Antwort auf das Rätsel gefunden zu haben.

Die Forscher haben dazu die Gene von zwei längst verstorbenen sibirischen Ureinwohnern analysiert. Sie isolierten dazu DNA-Überreste aus dem Skelett von "MA-1", einem männlichen Kind, das vor rund 24 000 Jahren im südlich-zentralen Sibirien nahe des Baikalsees lebte und starb. Älterere menschliche DNA ist bis dato wohl noch nicht erfolgreich extrahiert und untersucht worden, meinen die Forscher. Zudem verglichen sie die Sequenzen mit denen eines zweiten Sibirers, der vor rund 17 000 Jahren in der Nähe begraben wurde – und mit den Sequenzen von heute in Amerika lebenden Menschen europäischer, uramerikanischer und asiatischer Abstammung.

Idyll am Baikalsee | Der Baikalsee im südlichen Zentralsibirien. Hier findet sich die Mal'ta-Ausgrabungsstätte, in der Forscher ein Kinderskelett fanden, aus dem sie prähistorische DNA extrahieren konnten. Das Kind gehörte zu einer altsteinzeitlichen Population, aus der sich wohl auch die Vorfahren einiger Uramerikaner rekrutierten. Der Genpool der Amerikaner reicherte sich dabei auch mit alteuropäischen Genen an, die es vorher nach Sibirien geschafft hatten – und zudem mit anderen ostasiatischen Genen benachbarter Steinzeitvölker.

Die Analyse der prähistorischen DNA deutet darauf hin, dass die alten Sibirer wohl recht eng mit euroasiatischen Altsteinzeitjägern verwandt waren. So gehört die mütterliche Linie – analysiert anhand typischer mtDNA-Kannzeichen – zur so genannten Haplogruppe U; einem genetisch definierten Stammbaumzweig der Menschheit, der in der Altsteinzeit auch in Europa weit verbreitet war. Die väterliche Linie war auch aus technischen Gründen schwerer zu bestimmen; jedenfalls aber ähnelt sie der uralten R-Linie, die sich heutzutage längst in viele Seitenzweige aufgegliedert hat und in der altsteinzeitlichen Welt vom westlichen Eurasien bis nach Südasien beheimatet war. Heute finden sich im Asien östlich des Altaigebirges – also etwa am Baikalsee, der Heimat von MA-1 –, kaum Nachfahren aus diesem Verwandtschaftskreis.

Offenbar sind die alten Sibirer vom Typ MA-1 demnach wohl nach und nach gänzlich verdrängt worden. Verwandte haben sie aber noch in Amerika: Die typisch amerikanische Haplogruppe Q ist der Seitenzweig, die der alten eurasisch-sibirischen R-Linie aus Sibirien am ähnlichsten ist. Dagegen sind andere heute in Asien lebende Menschen – etwa die Han-Chinesen – mit den amerikanischen Ureinwohnern weniger eng verwandt.

Genbeimischung aus dem Paläolithikum | Eine Analyse (PCA, "principal component analysis"), die die Verwandtschaft unterschiedlich genetisch gemischter menschlicher Populationen verdeutlicht. Die prähistorischen Gene von MA-1 aus dem altsteinzeitlichen Sibirien stehen recht isoliert – heute ist diese Linie in ihrer reinen Form ausgestorben. Die alten Sibirien sind mit aber mit heutigen Europäern (grau) und Zentralasiaten (orange) sowie mit amerikanischen Ureinwohnern (blasslila) näher verwandt als mit Ostasiaten wie etwa den Han-Chinesen (dunkelviolett).

Buntes Gengemisch

Mit den Sibirern kamen demnach auch jene typisch europäischen Gensignaturen in die Neue Welt, die seit Längerem für Diskussionen in der Wissenschaftswelt sorgen. Die nahe liegende Erklärung, dass diese Gene sich auch bei vermeintlich rein indianischen Linien nach der Ankunft der Europäer im 16. Jahrhundert in den Genpool eingeschlichen haben, kann mit genalytischen Methoden recht zuverlässig ausgeschlossen werden. Verschiedene Spekulationen sollten daher den europäischen Einfluss in uramerikanischen Genen erklären – zu den fantasievollsten gehört etwa die Solutréen-Hypothese, nach der seefahrende Steinzeiteuropäer einst Amerika über den Atlantik hinweg besiedelt haben.

Die neuen Analysen der alten DNA zeigen dagegen, dass MA-1 näher mit den amerikanischen Ureinwohnern verwandt ist als diese mit 15 verschiedenen europäischen Populationen, die zum Vergleich herangezogen wurden. Demnach dürften die europäischen Gene wohl schon durch die einwandernder Sibirer vom Typ MA-1 importiert worden sein – und nicht viel später von Kolumbus und Co. Ähnliches geschah wohl in mehreren Wellen der Einwanderung, die stets frische Gene aus Sibirien nach Amerika spülten.

Fundstelle von Mal'ta | Das Kinderskelett aus Mal'ta ist schon vor geraumer Zeit aufgespürt worden: Im Jahr 1935 zeichnete der russische Anthropologe Gerasimov die Fundsituation. Vor Ort ist zwischen 1928 und 1958 gegraben worden, die Knochenüberreste gelangten dann in die Asservatenkammer eines Museums in St. Petersburg, bevor Paläogenetiker daraus nun DNA isolieren konnten. Auf dem Bild sind auch Fotos weiterer Fundstücke zu sehen – etwa eine Venusskulptur, die wohl kultischen Zwecken gedient hatte.

Kein Wunder, dass sich auf halben Weg zwischen Neuer und Alter Welt – etwa in Berinigia, der sibirisch-alaskischen Überlappungszone, aber auch weiter südlich – eine recht bunt gemischte Population entwickelt hat, meinen Willerslev und Co. Sie offenbart sich zum Beispiel bei anatomischen Untersuchungen von Schädeln aus der Zeit der frühen Besiedlung, die typische anatomische Merkmale von Ostasiaten vermissen lassen. Noch heute, so rechnen die Forscher aus, haben sich zwischen 14 und 38 Prozent der Gene amerikanischer Ureinwohner aus der Zeit der frühen Besiedlung gehalten. Bis heute sorgen sie auch für ein alteuropäisches Erbe in Amerika, das einen langen transsibirischen Weg hinter sich hat und dabei vielen Widrigkeiten erfolgreich getrotzt hat. Denn immerhin, so eine der Schlussfolgerungen der Genetiker, schafften es die Paläoeurasier, sich über Jahrtausende und selbst während des Höhepunkts der letzten Kaltzeit in Sibirien zu halten – um schließlich zu Vorfahren der Amerikaner zu werden.

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