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Genetik: Überlebenstricks eines Extremisten

Bakterien erweisen sich immer wieder hart im Nehmen, die Überlebenskunst von Deinococcus radiodurans stellt jedoch so ziemlich alles in den Schatten: Selbst über extrem hohe Strahlendosen kann der Keim nur müde lächeln - dank effektiver Reparaturmechanismen.
Deinococcus radiodurans
In den 1950er Jahren genoss radioaktive Strahlung längst nicht so einen kritischen Leumund wie heutzutage. Visionäre träumten von der friedlichen Nutzung der Kernkraft, die alle Energieprobleme der Menschheit lösen sollte, und auch sonst zeigte Radioaktivität durchaus praktische Eigenschaften – als Sterilisationsmittel zum Beispiel.

So wurden munter Lebensmittel bestrahlt, um lästigen Keimen den Garaus zu machen. Doch 1956 tauchte in bestrahlten Fleischkonserven ein sich fleißig weiter teilendes Bakterium auf, dem die Prozedur anscheinend gar nichts ausgemacht hatte. Nach der Isolierung offenbarte sich das ganze Können des Extremisten: Manche Stämme trotzten sogar Strahlendosen von mehr als 15 000 Gray – ein Mensch hat spätestens ab 5 Gray ziemlich schlechte Karten.

Deinococcus radiodurans | Ein Überlebenskünstler: Deinococcus radiodurans übersteht selbst extrem hohe Strahlendosen.
Inzwischen fand man das nach der griechischen Sagengestalt Deino ("die Furchtbare") benannte, aber zum Glück nicht krankheitserregende Bakterium Deinococcus radiodurans an allen möglichen und unmöglichen Biotopen: im Hausstaub, in Fäkalien, auf bestrahltem Operationsbesteck sowie in der Antarktis. Neben ionisierender und UV-Strahlung überlebt es ebenso gentoxische Chemikalien wie auch extreme Trockenheit.

Dabei schädigt diese rabiate Behandlung das auf zwei ringförmige Chromosomen sowie zwei Plasmiden aufgeteilte Erbgut des Bakteriums durchaus: Die Strahlung zerschmettert das drei Millionen Basenpaare lange Genom in tausende Bruchstücke – doch D. radiodurans baut diese wieder munter zusammen.

Auch als die Arbeitsgruppe von Miroslav Radman von der Universität Paris den Keim 15 Minuten lang mit 7000 Gray bestrahlten, konnte sie zahlreiche DNA-Fragmente nachweisen. Um bei der sofort einsetzenden Reparatur zuzusehen, gaben die Forscher dem Bakterium die Base 5-Bromdesoxyuridin (BrdU) zu fressen, die statt Thymidin in neu synthetisierte DNA-Stränge eingebaut wird. Praktischerweise ist BrdU schwerer als Thymidin und reagiert besonders empfindlich auf UV-Licht, sodass sich sein Einbau leicht nachweisen lässt. Außerdem setzten die Forscher fluoreszenzmarkierte Antikörper ein, die an BrdU in Einzelsträngen, jedoch nicht in Doppelsträngen andockten.

Damit offenbarte sich ein zweistufiger Reparatureinsatz: An den doppelsträngigen Bruchstücken stehen kurze Einzelstränge über, die als "klebrige Enden" (sticky ends) sich wieder zusammenfügen könnten. Dies geschieht jedoch nicht – wie bisher vermutet – direkt, sondern D. radiodurans lässt zunächst das Enzym DNA-Polymerase I arbeiten, das diese Enden kräftig verlängert. Als Arbeitsvorlage für die Synthese nutzt das Enzym komplementäre Bruchstücke, die zu den sticky ends passen.

Dadurch entstehen extrem lange Einzelfäden, die wiederum schnell einen passenden Paarungspartner finden und sich schließlich zu einem langen doppelsträngigen DNA-Faden zusammenlagern. Erst nachdem dieser von den Forschern als extended synthesis-dependent strand annealing (ESDSA) genannte Prozess abgeschlossen ist, setzt Phase 2 ein: Das Enzym RecA schließt den Faden zu einem Ring zusammen; die Reparatur ist damit erfolgreich abgeschlossen.

Entstanden ist dieser zweistufige Prozess vermutlich nicht als Schutz gegen böse Strahlenbiologen oder Lebensmitteltechniker, sondern gegen Wassermangel. Denn auch hier zerbröselt die DNA – die Bakterien erscheinen "klinisch tot". Steht jedoch wieder genügend Nass zur Verfügung, dann reparieren die Extremisten flugs ihr Erbgut und erwachen zu neuem Leben.

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