Direkt zum Inhalt

News: Überreaktion

Ängstliches oder aggressives Verhalten in Maßen und zum richtigen Zeitpunkt ist sicherlich nicht von vornherein verwerflich. Mäuse, denen ein spezielles Gen fehlt, reagieren allerdings aggressiver und ängstlicher als die Situation erfordert. Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang mit humanen psychischen Störungen.
Selbst wenn wir meinen, unser Gehirn ab und zu für einen kleinen – oder auch längeren – Moment abzuschalten, sendet es doch pausenlos Signale. Die miteinander zu einem undurchschaubaren Netz verwobenen Nervenzellen funken Nachrichten kreuz und quer, erhalten hierbei Informationen an ihren länglichen Empfangsarmen, den Dendriten, und geben sie an anderer Stelle, dem Axon, an benachbarte Neurone mehr oder weniger gefiltert weiter.

Wichtiger Bestandteil dieser komplizierten Kommunikation sind die Botenstoffe, welche die Nervenzellen untereinander austauschen. Während einige Neurotransmitter auf das nachgeschaltete Neuron erregend wirken – etwa Glutamat und Aspartat –, wirken andere Substanzen eher hemmend. Zu diesen Neurotransmittern gehört auch Serotonin, das nur von einer geringen Anzahl an Nervenzellen produziert wird.

In den Billionen von Nervenzellen kommen nur wenige hunderttausend Zellen für die Produktion von Serotonin in Frage. Sind diese wenigen Neurone dann auch noch mangelhaft, zeigen die Betroffenen häufig absonderliches Verhalten. Impulsive Gewaltausbrüche, exzessive Angst und Depressionen können beim Menschen die Folge sein. Als einziger Ausweg bleibt dann oft nur die regelmäßige Einnahme von Antidepressiva, mit denen die Aktivität von Serotonin erhöht werden kann.

Doch warum haben manche Menschen fehlerhafte Serotonin produzierenden Nervenzellen? Diese Frage stellten sich Evan Deneris und seine Kollegen von der Case Western Reserve University. Hierbei richteten sie ihr Augenmerk auf das Gen für den Transkriptionsfaktor PET-1: Ein kleines Protein, das an die DNA bindet und hierdurch entscheidet, ob ein nachgeschaltetes Gen abgelesen wird oder nicht.

Wie wichtig PET-1 für ein maßvolles Verhalten ist, zeigte sich, als die Wissenschaftler bei einigen Mäusen das Gen abschalteten. Die Tiere, die bereits während ihrer Embryonalentwicklung ohne den Transkriptionsfaktor auskommen mussten, reagierten als erwachsene Mäuse aggressiver und ängstlicher als die normalen Kontrolltiere. In einem Aggressionstest etwa beobachteten Deneris und seine Kollegen das Verhalten der Mäuse ohne PET-1, wenn fremde Artgenossen sich ihrem Territorium näherten: Die Nager duldeten keinerlei Neuankömmlinge und griffen diese Tiere unverzüglich an.

Andererseits waren sie aber auch viel ängstlicher als ihre normalen Artgenossen. So trauten sie sich nicht, ein ihnen unbekanntes offenes Gelände zu untersuchen, während die Kontrolltiere sofort neugierig auf Erkundungstour gingen.

Da Mäuse und Menschen genetisch viel gemeinsam haben, wundert es nicht, dass auch im humanen Genom eine Kopie des Pet-1-Gens vorkommt. Und so hoffen Deneris und sein Team, mit dem Mausvorbild auch beim Menschen eine Tür zur genaueren Untersuchungen Erkrankungen in Zusammenhang mit unkontrollierten Wutausbrüchen und unverhältnismäßig ängstlichem Verhalten öffnen zu können. Die Wissenschaftler planen nun weitere Mausstudien, um zu ergründen, wie der Transkriptionsfaktor den Schlaf-Wach-Rhythmus, Lernen und Gedächtnis und das Sexualverhalten beeinflussen kann – all diese Funktionen werden – zumindest teilweise – von Serotonin kontrolliert.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.