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Verhaltensforschung: Um-die-Ecke-Einsichten

Sind Sie schon einmal auf der Straße an einem nach oben starrenden Menschen vorbeigegangen - ohne selbst kurz zur Kontrolle seinem Blick zu folgen? Fällt schwer? Offenbar auch allerlei Tieren.
Einem Baby am Beginn seiner Entdeckungsreise in die Welt ersetzen Blicke alle Worte – lange bevor es zu verstehen oder sprechen, krabbeln und zum ersten Mal zahnlos zu lächeln gelernt hat: Augenkontakt bedeutet ursprünglichste Kommunikation, Blicke sind die Vokabeln einer uralten, wortlosen Universalsprache.

Eine Sprache, die im übrigen nicht nur alle Menschen schnell verstehen. Bei vielen sozialen Lebewesen spielen die Blicke eines Artgenossen und deren Interpretation eine wichtige kommunikative Rolle – als Warnsignale vor drohender Gefahr etwa, oder als Fingerzeig zu verborgenen Nahrungsquellen. Und die Sprache ist artübergreifend: Haushunde interpretieren, wie bestimmt alle Hundehalter stolz berichten können, die Blicke eines menschlichen Vertrauten und deren Richtung. Aber auch Affen, Ziegen und Delfine reagieren, dies zeigen verschiedene Untersuchungen, auf die Orientierung der Augen und die Stellung des Kopfes von sichtbar vor ihnen umherschauenden Menschen: Was Homo sapiens intensiv betrachtet, scheint allen stets eine genauere eigene Betrachtung wert zu sein.

Schimpansen können der Blickrichtung von Menschen sogar dann folgen, wenn ein offensichtliches Objekt des menschlichen Interesses von einem Hindernis verdeckt ist. Und sie verstehen umgekehrt offenbar auch, dass Sozialpartner etwas nicht sehen können, wenn ihre Sicht verstellt ist – dann ist beispielsweise ein idealer Augenblick gekommen, um einen Leckerbissen schnell vor etwaigen Neidern zu verstecken.

Diese äffische Einsicht darin, dass andere von woanders womöglich auch etwas anderes sehen, hat nichts mehr mit erlerntem, simpel-automatisierten Blickabgleich zu tun, der sich eben im Sozialkontakt nach und nach als nützlich bewährt hat, vielmehr sind dazu schon tiefe kognitive Fähigkeiten nötig. Eine Form der Intelligenz?

Wie intelligent sind in dieser Hinsicht dann eigentlich Nicht-Säugetiere – etwa die als clever und sozial durchaus kompetent angesehenen Rabenvögel? Dies fragten sich nun Thomas Bugnyar von der Universität Wien und seine Kollegen von der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau. Junge Kolkraben (Corvus corax), das war schnell geklärt, folgen dem hinter und über sie gerichteten Blick eines menschlichen Experimentators zuverlässig. Von dort könnte immerhin ein heraneilender Raubvogel oder sonstiges Unheil drohen. Ältere Raben interessierte dies allerdings schon weniger; und alle Tiere ignorierten auch schnell das falsche Spiel, nachdem sie mehrmals hintereinander durch menschliche Blicke fehlalarmiert worden waren.

Lernfähig sind sie also – aber wie ist das mit der tieferen Einsicht der Raben? Sie offenbarte sich, als die menschlichen Bezugspersonen in Folgeexperimenten plötzlich und angestrengt in eine Ecke des Versuchsraumes schauten, die vor den neugierig folgenden Blicken der Raben durch einen Wand-Sichtschutz verborgen war. In immerhin der Hälfte aller Versuche erkannten ältere Tiere, dass das unsichtbare Objekt des plötzlichen menschlichen Interesses hinter dem Blickfang liegen müsse: Die Vögel bewegten sich flugs an eine Stelle des Raumes, von dem aus sie hinter die Sichtblende spicken konnten.

Das Blickverständnis der Raben muss übrigens zunächst reifen: Junge Tiere erkannten noch nicht, dass es sinnvoll wäre, hinter und nicht auf den Sichtschutz zu lugen. Dies ist allerdings bei Menschen auch nicht anders, wenn sie die feineren Nuancen der universalen Blicksprache erlernen: Kleinkinder sind in analogen Schau-Versuchen erst im Alter von rund 18 Monaten zur Um-die-Ecke-Einsicht fähig.

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