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Gene Editing: Umstrittener Eingriff ins embryonale Erbgut

Ein weiteres Team macht seine Versuche an menschlichen Embryonen öffentlich. Die viel gepriesene "CRISPR"-Methode sollte eine Mutation erzeugen, die gegen HIV immun macht.
Illustration menschlicher Embryonen

Chinesische Wissenschaftler haben das Erbgut menschlicher Embryonen verändert, um sie resistent gegen eine HIV-Infektion zu machen. Bei ihren Experimenten testeten sie das so genannte CRISPR-Verfahren an nicht lebensfähigen Embryonen. Sie sind damit das zweite Team, das von einem erfolgreichen Gene Editing mit Hilfe dieser Methode in menschlichen Embryonen berichtet.

Bereits im April 2015 hatte ein anderes Team aus China mit einer ähnlichen Publikation für Aufsehen gesorgt. Die Genetiker hatten ein Gen in menschlichen Embryonen modifiziert, das im Zusammenhang mit einer Bluterkrankung steht. Auch in diesem Fall waren die Embryonen nicht lebensfähig und hätten nicht zu lebensfähigen Organismen heranreifen können. Diese weltweit erste Publikation ihrer Art hat eine internationale Debatte über die Ethik solcher Manipulationen an Embryonen und menschlichen Keimzellen ausgelöst. Dabei wurde unter anderem die Forderung nach einem Moratorium laut, das sogar noch Studien mit einschließt, die lediglich die reine technische Machbarkeit nachweisen sollen.

Bereits damals ging das Gerücht um, dass andere Arbeitsgruppen ähnliche Experimente durchgeführt hätten. Die Redaktion von "Nature News" etwa erfuhr aus chinesischen Quellen, dass eine Anzahl Artikel zur Veröffentlichung eingereicht worden seien. Dazu zählt wahrscheinlich auch die jüngste, am 6. April im "Journal of Assisted Reproduction and Genetics" erschienene Publikation. "Nature News" bat den verantwortlichen Autor, den Stammzellforscher Yong Fan, um eine Stellungnahme. Bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels haben wir allerdings noch keine Antwort erhalten.

Fan und seine Mitarbeiter von der Medizinischen Universität Guangzhou hatten im Zeitraum von April bis September 2014 insgesamt 213 befruchtete menschliche Eizellen von 87 Spenderinnen erhalten. Diese Eizellen waren für eine Implantation im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation nicht geeignet, denn sie enthielten einen zusätzlichen Chromosomensatz.

Die Wissenschaftler nutzten das CRISPR/Cas9-System zum Genome Editing, um in manche der Embryonen eine Mutation einzuschleusen, durch die ein Gen namens CCR5 in Immunzellen lahmgelegt wird. Bei einigen Menschen ist diese Mutation natürlicherweise vorhanden (bekannt als CCR5Δ32). Sie führt zu einer Resistenz gegen HIV, denn das CCR5-Protein wird durch die Mutation auf eine Weise verändert, die es dem Virus unmöglich macht, in T-Zellen einzudringen und diese zu infizieren.

"Eine Spielerei mit menschlichen Embryonen"Tetsuya Ishii

Mit Hilfe genetischer Analysen konnten die Forscher nachweisen, dass 4 von 26 Embryonen erfolgreich modifiziert wurden. Dabei fand sich die CCR5Δ32-Mutation jedoch nicht auf allen Chromosomen gleichermaßen – einige enthielten noch das ursprüngliche CCR5-Gen. Und bei anderen traten neue Mutationen auf.

Nach Ansicht von George Daley, Biologe und Stammzellforscher am Boston Children’s Hospital in Massachusetts, besteht der wissenschaftliche Fortschritt der Studie darin, dass die Forscher mit der CRISPR-Technik erfolgreich eine gezielte genetische Veränderung hervorgerufen hätten. "Es sieht aber nicht so aus, als hätte diese Publikation mehr zu bieten als eben den anekdotischen Nachweis, dass CRISPR in menschlichen Embryonen funktioniert. Aber das wussten wir bereits", erklärt Daley. "Das ist eindeutig noch weit von dem entfernt, was die Technik eigentlich verspricht" – nämlich sämtliche Genkopien von CCR5 in einem menschlichen Embryo zu inaktivieren.

"Die Arbeit zeigt die vielen technischen Schwierigkeiten, die einer präzisen Genveränderung in menschlichen Embryonalzellen noch im Weg stehen", meint der Neurowissenschaftler Xiao-Jiang Li von der Emory University in Atlanta, Georgia. Forscher sollten diese Tücken zunächst beseitigen, beispielsweise mit Experimenten an nicht menschlichen Primaten, und erst dann am Genom menschlicher Embryonen weiterarbeiten, so Li.

Nur begrenzte Aussagekraft?

Tetsuya Ishii, Bioethiker an der Hokkaido University in Sapporo in Japan, hat keine Probleme damit, wie die Experimente durchgeführt wurden – eine lokale Ethikkommission hatte die Versuche genehmigt und die Eizellenspenderinnen eine Einwilligungserklärung abgegeben; allerdings stellt er die Notwendigkeit der Experimente in Frage: Die CCR5Δ32-Mutation ins Genom einzubauen, sei "schlicht Spielerei mit menschlichen Embryonen", erklärt Ishii – selbst wenn diese nicht lebensfähig sind.

In ihrer Veröffentlichung schreiben Fan und Mitarbeiter, es sei wichtig, bereits jetzt solche Machbarkeitsstudien zum Gene Editing in menschlichen Embryonen durchzuführen, noch während die ethische und rechtliche Debatte über genetische Veränderungen in der Keimbahn läuft. Sie schreiben: "Wir glauben, dass jeder Versuch einer Schaffung genetisch veränderter Menschen durch Modifizierung von Embryonen im Frühstadium so lange streng verboten werden sollte, bis sowohl ethische als auch wissenschaftliche Probleme gelöst sind."

George Daley sieht gravierende Unterschiede zwischen den Untersuchungen von Fan und der Forschung einer britischen Arbeitsgruppe, die im Februar von der britischen Behörde für menschliche Befruchtung und Embryologie (HFEA) genehmigt wurde und bei der menschliche Embryonen mit Hilfe von CRISPR genetisch modifiziert werden dürfen. Die Arbeitsgruppe der Entwicklungsbiologin Kathy Niakan am Francis Crick Institute in London versucht zu verstehen, warum einige Schwangerschaften vorzeitig enden, und inaktiviert dafür Gene, die in der ganz frühen Phase der Embryonalentwicklung eine Rolle spielen. Die Untersuchungen werden zwar an lebensfähigen Embryonen durchgeführt, laut Genehmigung sind die Forscher aber dazu verpflichtet, jedes Experiment innerhalb von 14 Tagen zu beenden.

Embryonenforschung versus Manipulation am Menschen

Anfang des Jahres äußerte sich der Entwicklungsbiologe Robin Lovell-Badge, der ebenfalls am Francis Crick Institute forscht, gegenüber "Nature": Die Genehmigung sei von der britischen Behörde sorgfältig erwogen worden, könnte aber seiner Meinung nach anderen Wissenschaftlern Aufwind verleihen, die ebenfalls Gene Editing an menschlichen Embryonen erproben wollen. "Falls das wirklich bereits in China gemacht wird, dürften bald zahlreiche weitere Artikelmanuskripte auftauchen", meint Lovell-Badge.

Während sich Niakans Forschung um grundlegende Fragen der Embryologie drehe, gehe es Fan darum zu zeigen, dass man zumindest im Prinzip einen HIV-resistenten Menschen erzeugen könnte, erklärt Daley. "Das heißt, die Wissenschaft schreitet bereits voran, bevor wir einen wohlüberlegten Konsens bilden können, ob ein solcher Ansatz überhaupt medizinisch sinnvoll ist."

Dieser Artikel erschien unter dem Titel "Second Chinese team reports gene editing in human embryos".

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