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Endokrinologie: Ungleiches Geschwisterpaar

Nicht nur Liebe geht durch den Magen - auch so manche Aggression rührt daher, dass der Bauch dringenden Nachfüllbedarf ans Gehirn meldet: Das Gehirn und der Verdauungstrakt stehen miteinander in engem Kontakt. Zu dem komplexen System gesellt sich nun ein neues Hormon.
Frisch Verliebte können gut und gerne mal nur von Luft und Liebe leben, diese Hochstimmung lässt einfach keinen Platz für so etwas Profanes wie Hunger. Liebeskummer hingegen verleitet so manch einen zum allzu häufigen Griff zur Schokolade, um der geschundenen Seele wenigstens ein klein wenig Trost zu spenden. Und so wie Stimmungen und Gefühle das Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme beeinflussen können, kann ein allzu sehr knurrender Magen den Hungerleidenden auch schon mal unausstehlich oder gar aggressiv machen. Das Gehirn und der Verdauungstrakt stehen eben enger miteinander in Verbindung als so manchem lieb sein mag.

Beuteln nicht gerade starke Stimmungsschwankungen oder schwere Hungersnöte den Menschen, gewährleistet ein kompliziertes Netzwerk von Hormonen und Nervensignalen die Kommunikation zwischen den beiden Parteien und sorgt im Normalfall für eine bedarfsgerechte Nahrungsaufnahme. Einige Hormone des komplexen Netzwerks und ihre Aufgaben sind bereits bekannt. So meldet beispielsweise das von Fettzellen produzierte Hormon Leptin ein Sättigungsgefühl, das vom Magen hergestellte Peptidhormon Ghrelin hingegen signalisiert Hunger.

Einen weiteren Faktor bei der Regulierung des Essverhaltens entdeckte nun das Team von Aaron Hsueh von der Stanford Universität. Die Wissenschaftler näherten sich dem komplexen System der Nahrungsregulierung von genetischer Seite: Sie untersuchten im Humangenom das Gen für Ghrelin. Dabei stießen neben dem Code für Ghrelin auf eine DNA-Sequenz für ein weiteres Eiweiß.

Mit Hilfe der neu gefundenen Vorlage synthetisierten sie ein Peptid, das sie Obestatin nannten. Dann machten sie sich daran, die Funktion des neuen Eiweißes zu ergründen – und fanden prompt auch passende Rezeptoren zu dem Peptid. Sie ähneln sehr stark denen für das Geschwisterpeptid Ghrelin und finden sich im Magen, im Darm und im Hypothalamus – demnach sollte das Hormon die Energiebalance regulieren.

Das tut es auch tatsächlich – doch anders als erwartet: Denn als die Wissenschaftler das Peptid Ratten in den Bauch oder ins Gehirn injizierten, zügelte es deren Lust auf Essen und die Tiere nahmen weniger Nahrung zu sich. Obestatin wirkt somit als Gegenspieler des Appetit anregenden Ghrelins. Das Erstaunliche daran: Beide Hormone werden vom selben Gen kodiert und werden auf dem gleichen Weg über das gleiche Vorläuferprotein synthetisiert.

"Das Bemerkenswerte an dieser Arbeit ist, dass sie einen vollständig neuen Weg beschreibt“
(Greg Barsh)
Obestatin könnte, da es die Nahrungsaufnahme reduziert, unter Umständen das Zeug dazu haben, neue Behandlungsstrategien von Übergewicht zu ermöglichen. Allerdings zeigte das neu entdeckte Hormon keine Wirkung auf den Leptin-Spiegel der Versuchsratten – auf die Menge an Körperfett wirkt es sich demnach nicht aus. Es wird also kaum ein Wundermittel gegen Fettleibigkeit werden, zumal nicht klar ist, ob es am Menschen genauso wirkt wie an der Ratte. Zudem sind seine Wirkung und sein Wechselspiel mit anderen Hormonen noch kaum verstanden. Doch jedes neue Element im komplexen Kommunikationssystem von Verdauungstrakt und Gehirn weckt Hoffnung, Übergewichtigen einmal hilfreich werden zu können.

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