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Vulkane: Unkraut vergeht nicht

Vor einem Vierteljahrhundert spuckte der Mount St. Helens Schutt und Asche, verdunkelte den Himmel und begrub Pflanzen und Tiere, Häuser und Straßen unter Geröll, Schlamm und Staub. Sind auch die Spuren heute noch zu sehen, zeigt sich viel eindrücklicher: Weidenröschen, Taschenratte und Co lassen sich davon nicht stören.
Mount St. Helens
18. Mai 1980, 8.32 Uhr Ortszeit. Ein Erdbeben der Magnitude 5,1 erschüttert den Mount St. Helens im US-Bundesstaat Washington – und löst einen der spektakulärsten Vulkanausbrüche unserer Zeit aus: Ein gigantischer Erdrutsch reißt die Nordflanke des Vulkans auf und begräbt sechzig Quadratkilometer Land unter sich, die Explosion des unter Druck stehenden Magmas im Inneren des Berges sprengt 400 Meter des Gipfels weg, eine Aschefontäne steigt in nur 15 Minuten bis in die Stratosphäre. In nur drei Minuten fegt eine Druckwelle mit über 400 Kilometern pro Stunde über 500 Quadratkilometer Wald und knickt die mächtigen Bäume wie Streichhölzer, die mehrere hundert Grad heiße Luft versengt am Rand in einem breiten Streifen die Nadeln. Schlamm- und Geröllströme ergießen sich in die umliegenden Täler, zerstören Häuser und Brücken, lassen die Bäche und Flüsse über die Ufer treten. Die Aschewolken lagern ihre Fracht bis in mehrere hundert Kilometer Entfernung ab, ihr feiner Staub bedeckt schließlich eine Fläche von der Größe Berlins, Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns zusammen. 57 Menschen und unzählige Tiere und Pflanzen lassen ihr Leben.

Vor und nach dem Ausbruch | Am 18. Mai 1980 löste ein Erdbeben der Magnitude 5,1 einen der spektakulärsten Vulkanausbrüche aus, der den Mount St. Helens unter anderem 400 Meter Höhe kostete und die Gegend unter Asche und Geröll begrub.
Aus reinem Zufall hatten Forscher kurz zuvor einen Bericht über die Eruptionsgefahr seitens des Mount St. Helens verfasst. Er führte dazu, dass im Krater des Vulkans seismische Messgeräte installiert wurden. Diese schlugen nun seit März schwach, aber regelmäßig Alarm: Tausende schwache Beben deuteten an, dass der ruhende Gipfel in seinem Inneren wohl doch mächtig rumorte. Zudem hatte sich in den zwei Monaten vor dem Ausbruch an der Nordflanke eine überdimensionierte, achtzig Meter hervorragende Beule durch aufsteigendes Magma gebildet. Anzeichen gab es also genug.

Mit dem Ausmaß der Katastrophe hat aber wohl keiner gerechnet. Und die weithin zerstörte, graue, leblose Landschaft würde wohl Jahre, wenn nicht Jahrzehnte brauchen, um sich davon zu erholen, so der erste Eindruck. Von wegen.

Ein Waldgebiet vor und nach dem Ausbruch | Über 500 Quadratkilometer Wald fielen der Druckwelle zum Opfer, die mächtige Bäume knickte wie Streichhölzer.
Denn der Ausbruch hatte bei weitem nicht alles dahin gerafft. Sehr schnell sorgten vor allem Pflanzen für junges Grün, deren Wurzeln oder unterirdische Speicherorgane überdauert hatten und nun neue Triebe an die Oberfläche schickten. Schon bald bekamen sie Unterstützung von Keimlingen aus Samen, die der Wind in die Region geblasen hatte. Die Erosion an steilen Hängen oder in Rinnen beschleunigte den Prozess, indem sie den Boden von der überdeckenden Asche- und Schuttschicht befreite.

Schon kurz nach dem Ausbruch zeigten sich so beispielsweise in Abholzungsgebieten trotz dichten Ascheteppichs typische Pioniere wie Weidenröschen, die in Rissen der abgelagerten Schichten ans Licht drängten. Auch Bäume und Büsche erobern wieder ihre ursprüngliche Heimat: Sie hatten entweder unter einer zu Zeiten des Ausbruchs noch vorhandenen Schneedecke überlebt oder sich als Samen neu angesiedelt. So verschwinden inzwischen selbst die Schuttzunge des Erdrutsches wieder unter Erlenbäumen, die an manchen Stellen bereits richtige Wäldchen bilden. Weniger Zuwachs allerdings zeigt sich im Bereich des Flusslaufs, da hier regelmäßige Überschwemmungen jungen Keimlingen das Leben zu schwer macht.

Eruptionsfolgen | Eine grafische Darstellung der Eruptionsfolgen: In blau die Kraterwände mit dem neuen Lavadom im Zentrum (rot). Eine Gerölllawine (beige), Schlammströme (braun) und pyroklastische Ströme (rosa) wälzten sich ins Umland des Vulkans. Die Druckwelle knickte Bäume wie Streichhölzer (hellgrün) und versengte am Rand immer noch die Nadeln (dunkelgrün). Doch in den Seen (hellblau) gibt es inzwischen wieder Fische.
Mit den Pflanzen kamen die Tiere: Obwohl insbesondere kaum größere Säugetiere wie Rothirsch (Cervus elaphus) und Maultierhirsch (Odocoileus hemionus) überlebt hatten, wanderten Artgenossen schnell aus angrenzenden Gebieten ein, die in dem sprießenden Grün willkommene Nahrung nach dem Winter fanden. Auch die Liste waldbewohnender kleinen Säugetiere ist wieder fast vollständig, nachdem zunächst nur 14 der 32 von dort bekannten Arten überlebt hatten.

Bei den Vögeln, die zu den schnellsten Einwanderern gehörten, tun sich hingegen noch manche Lücken auf, da für etliche von ihnen die Vegetation noch zu offen ist. Manche von ihnen erlagen gar einem fatalen Irrtum: Forscher berichten, dass sie in ihren orangefarbenen Schutzanzügen bei der Arbeit im Krater von Kolibris regelrecht attackiert wurden. Die kleinen Nektarsucher hatten sie wohl für die Blüten ihres Lebens gehalten.

Vielleicht unerwartet: Auch Insekten haben überraschend stark unter der Eruption gelitten. Die Aschepartikel hatten die Tiere regelrecht sandgestrahlt und ihre Atemöffnungen zugesetzt. Und anschließend boten die offenen Flächen zu wenig Feuchtigkeit, sodass neu einwandernde Sechsbeiner schlicht vertrockneten. Abgesehen von Ameisen, die in ihren unterirdischen Bauten überlebt hatten, und einigen Käfern, die zunächst notgedrungen auf Pilznahrung umstiegen, blieb die Gegend daher zunächst recht insektenarm.

Neubürger und Überlebender | Ein Überlebender und ein Neubürger: Während die Nördliche Taschenratte (Thomomys talpoides) in unterirdischen Bauten die Katastrophe überstand, ist die Drehkiefer (Pinus contorta) ein Pionier und bestens an das Leben auf Schutt angepasst.
Bei Amphibien und Reptilien zeichnen sich zwei unterschiedliche Entwicklungen ab: Die Nordkröte (Bufo boreas) entwickelt sich nach der Katastrophe prächtigst – wahrscheinlich auf Grund fehlender Feinde und dafür reichlicher Nahrung, weil eingeschwemmte Nährstoffe aus den Ascheablagerungen Tümpel und Teiche zum Blühen brachten. Die dort heimischen Schlangen und Echsen lassen sich dafür etwas mehr Zeit: Ihnen fehlen vielleicht noch etwas die Beutetiere, vor allem aber die überlebenswichtigen Verstecke vor eigenen Feinden. Inzwischen jedoch sind beispielsweise Strumpfbandnattern (Thamnophis sp.) wieder ein vertrauter Anblick in der Region.

Selbst Fische sind wieder in den Spirit Lake zurück gekehrt. Wie, bleibt allerdings ein Rätsel. Überlebt haben können sie nicht, denn der Sauerstoff des Sees war nach der Eruption zunächst aufgezehrt worden, als Bakterien und Co das eingeschwemmte nährstoffreiche Material zersetzten. Vielleicht wurden die Tiere aus angrenzenden Seen eingespült. Weitere Forschungsarbeiten sollen die Antwort finden.

North Fork Toutle River | Einen Eindruck der damaligen Landschaft bot lange noch das Tal des North Fork Toutle River (hier eine Aufnahme von 1988). Regelmäßige Überschwemmungen machen es hier pflanzlichen Neusiedlern zu schwer.
Insgesamt zeigen sich also allerorten wieder funktionierende Ökosysteme, wenn auch zu einem großen Teil noch im Jugendstadium. Kein Wunder: Unter und um das leblose Grau hatten letztendlich Vertreter aller Gruppen des Nahrungsnetzes überlebt – von Produzenten über Konsumenten verschiedener Sorten bis zu den Destruenten. Insofern bildeten sich schnell neue Gemeinschaften heraus, die sich seither prächtig entwickeln. Bleibt es zudem bei dem Schutzstatus des Gebietes, das die Bewohner vor zu großem Einfluss des Menschen schützt, dürften dem Vergnügen des Anblicks von über die Schuttlawine pilgernde Hirschen höchstens der wachsende Wald entgegen stehen.

Dass aus natürlicher Sicht die Folgen der Eruption vergleichsweise glimpflich aussehen, geht auf den Zeitpunkt des Ausbruchs zurück, erklären nun Virginia Dale vom Oak Ridge National Laboratory und ihre Kollegen: Denn die frühen Morgenstunden hatten nachtaktive Tiere geschützt, welche sich zur Zeit der Eruption gerade in ihre unterirdischen Schlupflöcher zurückgezogen hatten. Wegen der frühen Zeit im Jahr hatten etliche Pflanzen ihre Winterruhe noch nicht beendet und mit Hilfe ihrer unterirdischen Speicherorgane überlebt oder waren unter schützenden Schnee- und Eisdecken verborgen gewesen. Und die Wälder waren auf Grund kürzlicher forstwirtschaftlicher Maßnahmen noch in einem so jungen Stadium, dass mit dem Wind herantransportierte Samen eine gute Überlebenschance vorfanden.

Der Vulkan heute | Der Mount St. Helens im April 2005: Nachdem er in den 1980er Jahren bereits einen neuen Lavadom errichtet hatte, baut er nun an einem weiteren, der vielleicht einst die Lücke in der Spitze wieder schließen könnte. Dann hätte der Vulkan wieder das symmetrische, an den Fujiyama erinnernde Aussehen von vor 1980.
Und wie geht es weiter? Das Gebiet rund um den Mount St. Helen wird sich immer mehr wieder an das ursprüngliche Bild eines steilen, von Wäldern eingerahmten und Schnee gekrönten Vulkans annähern: In 200 Jahren, so schätzen Wissenschaftler, wird die Vegetation den ehrwürdigen Stand von damals erreicht haben. Selbst die Hoffnung auf Ersatz für den ehemals regelmäßigen Fujiyama-Gipfel scheint berechtigt, türmt der Vulkan doch seit wenigen Monaten einen neuen Lavadom auf, der die weggesprengte Spitze von einst ersetzen könnte. So sie nicht eine weitere Eruption dahinrafft – angesichts der neuerlichen Aktivitätszeichen kein abwegiger Gedanke.

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