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EV-D68: Ursache rätselhafter Kinderlähmung gefunden?

Vor wenigen Jahren kam es in Nordamerika zu einer merkwürdigen Häufung von Atemwegserkrankungen. Manche Betroffene entwickelten kurz darauf Kinderlähmung.
Modell eines Virus (Symbolbild)

Jahrzehntelang sorgte das Enterovirus D68 (EV-D68) nur sehr selten für Erkrankungen – oder wurde schlicht nicht entdeckt, weil die Symptome der Krankheit harmlos waren. Doch das änderte sich 2014/15: In Nordamerika, später auch in Asien und Europa traten plötzlich gehäuft schwere Atemwegserkrankungen auf, die vornehmlich Kinder und Jugendliche betrafen. Mindestens 1200 erkrankten allein in den USA daran, ein Viertel davon musste im Krankenhaus wegen massiver Atemprobleme behandelt werden. Immerhin: Das Risiko für extrem schwere Krankheitsverläufe oder gar Todesfälle war verglichen mit anderen Atemwegsinfektionen nicht erhöht. Eine schwer wiegende Komplikation trat jedoch bei etwa einem Zehntel der Patienten auf: Sie entwickelten eine Art Kinderlähmung mit neuronalen Ausfallerscheinungen und Schwäche in den Gliedmaßen. Im Blut der Betroffenen fanden die Wissenschaftler Gensequenzen des neuen EV-D68-Virenstamms B1.

Dieser Verdacht wird durch Amalie Dyda von der University of New South Wales und ihr Team in der Fachzeitschrift "Eurosurveillance" erhärtet. Für ihre Arbeit analysierten die Mediziner mehr als 100 Studien, um zu sehen, ob die Ausbrüche der von EV-D68 verursachten Atemwegserkrankung sowie einer bestimmten Form der Kinderlähmung, der akuten schlaffen Rückenmarksentzündung, zusammenhängen. Um die Kausalität zu testen, wandten sie die so genannten Bradford- Hill-Kriterien an, die hierfür entwickelt worden waren. Mit der Methode konnten sie unter anderem den Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebs belegen. "Wir sind die Ersten, die diesen Ansatz benutzten, um die Verbindung zwischen EV-D68 und der akuten schlaffen Rückenmarksentzündung nachzuweisen. Unsere Ergebnisse bestätigen, dass das Virus mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ursache für die rätselhafte Krankheit und die Lähmung der Kinder ist", erklärt die an der Studie beteiligte Medizinerin Raina MacIntyre. Sechs der neun Kriterien wurden demnach vollständig erfüllt, zwei weitere zumindest teilweise.

Das neue Kinderlähmungsvirus | Das Enterovirus D68 verursacht zunächst einmal Erkrankungen der Atemwege – womöglich schädigt es den Körper aber auch darüber hinaus. So wird vermutet, dass es hinter einigen Fällen mysteriös auftretender Lähmungserscheinungen von Kindern steckt.

Ziemlich sicher erscheint zudem, warum das Virus aggressiver geworden ist. "Aus Genanalysen wissen wir, dass das Virus mutiert ist", so MacIntyre. Während der ursprüngliche Stamm kaum in Erscheinung getreten ist, sorgten die seit 2014 nachgewiesenen Stämme A, B und B1 nicht nur für heftigere Ausbrüche von EV-D68. In Versuchen mit Mäusen sorgten sie auch dafür, dass die Nagetiere die Lähmungserscheinungen zeigten. Die Krankheit sei ziemlich selten und seit 2014/15 kaum mehr in Erscheinung getreten, sagt die Medizinerin. Doch entwarnen könne man aber noch lange nicht. "Epidemische Ausbrüche folgen bestimmten Zyklen." Wichtig sei deshalb eine sorgfältige Beobachtung und Analyse von Krankheitswellen mit starken Atemwegsproblemen und Lähmungserscheinungen.

Bislang gibt es keine gezielte Behandlung oder einen Impfstoff gegen EV-D68 und die akute schlaffe Rückenmarksentzündung. "Ausbrüche müssen schnell unter Kontrolle gebracht werden", mahnt MacIntyre, etwa durch verschärfte Hygienemaßnahmen oder Isolierung von Kranken.

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