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News: Vaterschaft mit Haken

Das Ziel ist klar: Eine Eizelle, die auf einen männlichen Vertreter wartet. Das Problem lautet, die um sich herum wimmelnden Konkurrenten auf dem langen, schleimigen Weg zu überrunden. Die Lösung ist kaum zu glauben, aber wahr: selbstloses Unterhaken.
Spermium
Es ist dunkel, warm, schleimig, und es herrscht ein unglaubliches Gedränge. Alle beseelt nur ein Gedanke: vorwärts. Schneller als die anderen. Erster sein. Denn irgendwo in der Ferne lockt die Eizelle und damit die Aussicht auf eine Vaterschaft, mit der man sich selbst im Erbgut der Nachkommen verewigt. Da ist kein Platz für Vortritt lassen oder gar hilfreiches Stützen, nein, jeder ist sich hier selbst der Nächste und stürzt sich wild zappelnd in die ungewisse Zukunft.

Möchte man glauben – stimmt aber nicht. Zumindest nicht, wenn es sich um die Spermien der Waldmaus (Apodemus sylvaticus) handelt. Dabei ist unter diesen zwanzig Gramm leichten Nagern Treue nun wirklich ein Fremdwort, Männlein und Weiblein paaren sich wild nach- und durcheinander. Zur brüderlichen Konkurrenz kommen also noch die Mitbewerber anderer Abenteurer. Und da soll Spermium sich zurückhalten und sogar für andere opfern?

So unglaublich es klingt, genau dies geschieht, haben Harry Moore von der University of Sheffield und seine Mitarbeiter herausgefunden. Denn als sie die Mäuserich-Samenzellen in ein Mäuseweibchenschleim-ähnliches Medium setzten, beobachteten sie ein eigentümliches Geschehen: Plötzlich klappten an den Spermienköpfen winzige Haken aus, die vorher eng anlagen. Flugs angelten sich die Samenzellen Partner an Land, bis schließlich ganze Horden aus tausenden von einzelnen Spermien entstanden.

Nun würde man denken, im Pulk geht es doch deutlich langsamer voran als allein, doch nicht die Spur: Im Wettrennen gewannen die untergehakten Kolonnen mit 132 Mikrometern pro Sekunde überlegen den ersten Platz, weit abgeschlagen landeten dahinter die Einzelkämpfer mit ihren 87 Mikrometern pro Sekunde.

Allerdings endet normalerweise jede noch so spontane Freundschaft, wenn es um das Eine geht – nein, nicht die Frau der Begierde, sie ist nur das Mittel zum Zweck –, die Nachkommenschaft mit den eigenen Genen. Schließlich gebührt dieses Glück in der Regel nur einem Anwärter, doch alle rangeln sich darum. Und wieder staunten die Wissenschaftler beim Anblick in der Petrischale: Zwar trennten sich die mäuslichen Samenzellen nach einer halben Stunde wieder voneinander, doch verzichteten daraufhin einige auf ihre potenzielle Vaterschaft – indem sie die so genannte Akrosomreaktion verfrüht auslösten, die ihnen sonst den Weg in die Eizelle ermöglicht.

Selbstlosigkeit? Oder nur männliche Zerstreutheit nach dem wilden Ritt? Vielleicht gar ein außergewöhnliches Verhalten in der doch nicht so ganz natürlichen Umgebung? Letzteres trifft auf keinen Fall zu, konnten die Forscher doch in frisch begatteten Mäusedamen untergehakte Spermientrupps aufspüren, wenn auch in etwas kleinerem Maßstab. Fehlverhalten aus der Aufregung heraus diskutieren Moore und seine Mitarbeiter erst gar nicht.

Nein, für die Forscher ist klar: Hier hatten sie ein Paradebeispiel für Altruismus vor sich. Man hilft dem anderen beim Vorwärtskommen und tritt dann bescheiden zur Seite, um – ja, wem nun, dem Besten? dem Dicksten? dem Erholtesten? – den Vortritt zu lassen.

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