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Künstliche Befruchtung: Vaterschaften aus dem Eis

Eingefrorenes Sperma und künstliche Befruchtungen sollen mehr Vielfalt ins Erbgut bedrohter Tierarten bringen. Doch Wildtiersperma lässt sich nur schwer einfrieren.
Elefantendame Tonga

Tonga ist trächtig. Wenn alles gut geht, wird die Elefantenkuh im Wiener Tiergarten Schönbrunn im Herbst ein Junges zur Welt bringen. Dieses Tier aber wird etwas ganz Besonderes sein: das weltweit erste Elefantenkalb, das bei einer Befruchtung mit tiefgefrorenem Sperma entstand. Den Vater ihres Nachwuchses, einen frei lebenden Bullen aus dem Phinda-Reservat in Südafrika, hat Tonga nie gesehen. Eine Fernbeziehung also – und zwar eine, die nicht leicht zu arrangieren war. Denn von einem Elefantenbullen Sperma zu gewinnen, dieses unbeschadet einzufrieren und schließlich ein Weibchen damit zu befruchten, ist eine echte Herausforderung. Die dazu nötigen Methoden hat ein Team vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) entwickelt [1, 2]. Mit dem tiefgekühlten Samen wollen die Forscher nicht nur für mehr Vielfalt im Erbgut von Zoo-Elefanten sorgen. Auch der Artenschutz soll profitieren.

Zu wenig Abwechslung

Wenn Tiere in kleinen, isolierten Beständen leben, bekommen sie oft ein Problem mit der Genetik. Da sie sich mangels Alternativen immer wieder mit ihren Verwandten paaren, wird das Erbgut der Nachkommenschaft mit der Zeit immer ähnlicher. Damit aber verliert die Population einen guten Teil ihrer Anpassungsfähigkeit. Wenn sich die Umwelt verändert, wäre vielleicht ein Spezialist gefragt, der besonders gut mit hohen Temperaturen oder langer Trockenheit zurechtkommt. Doch die Chance, dass ausgerechnet diese Variante im stark geschrumpften Genpool überlebt hat, ist gering. Zudem bringt Inzucht oft auch noch Erbkrankheiten und andere Gesundheitsprobleme mit sich. Ein abwechslungsreiches Erbgut ist deshalb sowohl aus gesundheitlichen als auch aus ökologischen Gründen gefragt.

Guter Hoffnung | Tonga ist das erste Weibchen seiner Art, das mit Sperma befruchtet wurde, welches einem wild lebenden Artgenossen entnommen und dann tiefgekühlt transportiert wurde.

Bei Zoo-Elefanten ist es allerdings nicht weit her mit der genetischen Vielfalt. "Das liegt unter anderem daran, dass Elefantenbullen nicht leicht im Umgang sind", erklärt IZW-Mitarbeiter Robert Hermes. So geraten die Tiere immer wieder in einen "Musth" genannten Zustand, der sie aggressiv und unberechenbar macht. Also beschränken sich viele Zoos auf die Haltung von Weibchen. Unter den gut 200 Afrikanischen Elefanten, die in Europas Tiergärten leben, kommt auf vier Kühe nur ein Bulle. Die Zahl der möglichen Väter, die ihre Erbeigenschaften beisteuern könnten, ist also begrenzt. Zumal es sich keineswegs durch die Bank um graue Casanovas handelt: "Viele Männchen nehmen gar nicht aktiv am Zuchtgeschehen teil", sagt Robert Hermes.

Manchen fehlt es dabei an der Libido – sie haben einfach keine Lust auf sexuelle Aktivitäten. Dieses Hindernis können die IZW-Forscher allerdings schon seit rund 15 Jahren umgehen. Denn ein Team um Thomas Hildebrandt und Frank Göritz hat Instrumente und Verfahren für die künstliche Befruchtung von Elefanten entwickelt. Sperma wird dem zukünftigen Vater entnommen und mittels eines speziellen Besamungsbestecks in das Weibchen eingeführt. Für die IZW-Tierärzte ist das inzwischen beinahe schon Routine.

Sperma gesucht

Nur braucht man für so ein Unterfangen eben auch das richtige Sperma. Die darin enthaltenen Erbinformationen sollten sich möglichst stark von denen der Mutter unterscheiden. Und befruchtungsfähig muss es natürlich auch sein. Genau daran aber hapert es oft. Denn viele Zoo-Elefanten haben bei ihrem Sperma ein Qualitätsproblem: Die Samenzellen sind missgebildet oder bewegen sich nicht genug, um die Eizelle zu erreichen. "Wir sind deshalb ständig auf der Suche nach guten Samenspendern", sagt Hermes.

Die aber finden sich vor allem in freier Wildbahn. Und damit stehen die Forscher schon vor der nächsten Schwierigkeit. Denn um das im Busch gewonnene Sperma an seinen Bestimmungsort in einem europäischen Zoo transportieren zu können, muss man es einfrieren und dadurch haltbar machen. Bei menschlichen Spermien wäre das kein Problem. Die kann man einfach in flüssigem Stickstoff auf Temperaturen von minus 196 Grad Celsius herunterkühlen und bei Bedarf wieder auftauen. Die Samenzellen von Elefanten und vielen anderen Säugetieren aber reagieren deutlich empfindlicher. "Die zarten Membranen, die sie umhüllen, werden leicht von Eiskristallen verletzt", erklärt Robert Hermes. Und das ist dann das Ende des erhofften Dickhäuter-Nachwuchses.

Arbeit im Busch

Die kleinen Elefanten, die bisher durch künstliche Befruchtung gezeugt wurden, verdanken ihr Leben daher frischem oder nur leicht gekühltem Sperma. Nur in zwei Fällen hatte eingefrorenes und dann wieder aufgetautes Material zu einer Befruchtung geführt, beide Schwangerschaften endeten allerdings vorzeitig. Doch die Idee der Gefrierkonservierung erschien Thomas Hildebrandt und seinen Kollegen viel versprechend genug, um in Südafrika einen neuen Versuch zu unternehmen.

Namenloser Spender | Von diesem und 13 weiteren afrikanischen Wildbullen haben die Forscher unter Vollnarkose Sperma entnommen. Mit dem Erbgut der Tiere wollen sie das Genom von Zoo-Elefanten auffrischen.

Dort sollten ohnehin etliche Bullen aus dem Phinda-Reservat in andere Schutzgebiete umgesiedelt werden. Dazu mussten Narkosespezialisten die Tiere betäuben. Und das bot für das IZW-Team die perfekte Gelegenheit zur Spermaentnahme. Denn freiwillig ist kein Elefant zur Samenspende bereit. "Ohne Vollnarkose läuft da nichts", erklärt Chefanästhesist Frank Göritz. Es gilt schließlich, dem Tier mit einer Elektrosonde und schwachem Gleichstrom die Prostata zu stimulieren. Nach etwa einer halben Stunde Arbeit können die Forscher dann im Durchschnitt 10 bis 200 Milliliter Samenflüssigkeit auffangen.

Insgesamt 14 graue Samenspender haben Robert Hermes, Thomas Hildebrandt und Frank Göritz im Phinda-Reservat rekrutiert. Um die Qualität der Proben zu prüfen, haben die IZW-Tierärzte in ihrem Buschcamp ein Spermalabor aufgebaut. Dort ließen sich die Zellen unter dem Mikroskop auf Beweglichkeit und intaktes Äußeres untersuchen. Nur Proben, die diesen Test bestanden hatten, wurden anschließend weiter behandelt.

Leben aus der Kälte

"Für das Einfrieren ist es zum Beispiel nicht gut, die Spermien in der Samenflüssigkeit zu lassen", erklärt Robert Hermes. Also wird das so genannte Seminalplasma entfernt und durch ein Nährmedium ersetzt. Das Rezept dafür müssen die Forscher allerdings für jede Tierart neu zusammenstellen. Und auch bei der Auswahl und Dosierung des "Frostschutzmittels", des Kryoprotektivums, das die Zellen vor Schäden schützen soll, ist einige Tüftelei gefragt. "Zum Glück konnten wir in Südafrika genügend Proben gewinnen, um das alles auszuprobieren", sagt Robert Hermes. Bewährt habe sich besonders eine siebenprozentige Glyzerollösung, während als Nährmedium eine Mixtur aus Eigelb und verschiedenen Pufferlösungen zum Einsatz kam.

Elefantenjunges im Ultraschall | Das Ultraschallbild von Tongas Nachwuchs wurde am Tag 141 der Trächtigkeit aufgenommen. Der Fötus hat zu diesem Zeitpunkt eine Kopf-Rumpf-Länge von 10,6 Zentimetern. Die Geburt erwarten die Schönbrunner Tierpfleger im Herbst 2013.

Der ganze Cocktail musste dann nur noch schrittweise heruntergekühlt und schließlich in flüssigem Stickstoff eingefroren werden. "Eines der Erfolgsgeheimnisse ist dabei ein besonders schonendes Einfrierverfahren", erläutert Hermes. In einem Spezialgerät können die Forscher relativ große Proben von bis zu acht Millilitern tiefkühlen – und zwar so, dass sich das Eis zunächst nur an einem Ende des Probengefäßes bildet. Von dort wächst es wie ein Eiszapfen nach und nach weiter vor. Das hat den Vorteil, dass die Eiskristalle nicht kreuz und quer, sondern kompakt auftreten. Dadurch sinkt die Verletzungsgefahr für die Samenzellen.

Mit dem Ergebnis der ganzen Prozedur sind die Forscher äußerst zufrieden. Denn viele der eingefrorenen Spermien ließen sich wieder aus ihrem Kälteschlaf wecken. "Mehr als die Hälfte der Zellen waren nach dem Auftauen wieder beweglich und damit befruchtungsfähig", erklärt Robert Hermes. "Das ist ein sehr guter Wert." Den endgültigen Praxistest haben die Tiefkühlspermien aus der Wildnis dann bei der Befruchtung in Wien bestanden.

Hoffnung für Nashörner

"Das Ganze ist natürlich ziemlich aufwändig", gibt Robert Hermes zu. Zwei bis drei Pick-ups voller Geräte und Technik müssen in den Busch geschafft werden, von einem ausreichenden Vorrat an flüssigem Stickstoff ganz zu schweigen. "Trotzdem ist die Gefrierkonservierung eine Methode mit Zukunft", ist der Forscher überzeugt. Und zwar nicht nur für Elefanten.

Auch bei Nashörnern und vielen anderen bedrohten Arten würden Experten gern den Genpool der Wildbestände für Zuchtprogramme anzapfen. Andererseits wollen sie die wertvollen und sensiblen Tiere nicht einfangen. Statt eines kompletten Nashornbullen nur sein eingefrorenes Sperma zu seiner künftigen Partnerin zu transportieren, ist da eine verlockende Idee. Und auch dafür haben die IZW-Forscher bereits die nötigen Methoden entwickelt. Sie hoffen, dass diese zum Überleben der fünf teilweise stark bedrohten Nashornarten beitragen können.

Die IZW-Forscher und Kollegen | Die IZW-Forscher (von links) Frank Göritz, Robert Hermes und Thomas Hildebrandt mit Romain Potier von der französischen Association Beauval Conservation & Recherche des ZooParc Beauval und Harald Schwammer vom Tiergarten Schönbrunn.

"Die Tiere und ihre Lebensräume vor Ort zu schützen, ist natürlich extrem wichtig", betont Robert Hermes. Er sieht seine Arbeit jedoch als zusätzliche Chance für solche gefährdeten Arten. Schließlich gelingt es nicht immer, die Probleme in freier Wildbahn rechtzeitig in den Griff zu bekommen. Selbst das Breitmaulnashorn, das lange als Paradebeispiel gelungenen Naturschutzes galt, ist nach Expertenansicht noch nicht endgültig über den Berg.

Eine der beiden Unterarten, das Nördliche Breitmaulnashorn, ist in freier Wildbahn bereits ausgestorben. Nur acht Exemplare haben in menschlicher Obhut überlebt. Vier davon wurden vor drei Jahren aus dem Zoo von Dvur Kralové in Tschechien ins Ol-Pejeta-Reservat in Kenia umgesiedelt – in der Hoffnung, dass sich die Tiere dort besser vermehren würden. Doch noch immer hat sich kein Nachwuchs eingestellt. "Wir würden beim Nördlichen Breitmaulnashorn deshalb sehr gerne eine künstliche Befruchtung versuchen", sagt Hermes.

Die südliche Unterart des Breitmaulnashorns ist zwar viel häufiger, Naturschützer haben den Bestand in den Savannen Afrikas seit Ende des 19. Jahrhunderts von weniger als 20 auf mehr als 20 000 Tiere aufgepäppelt. Doch die ständig zunehmende Wilderei könnte diesen Erfolg wieder zunichtemachen. Zu groß ist die Nachfrage nach dem Horn der Tiere, das als angebliches Arzneimittel auf dem Schwarzmarkt in China und Vietnam höhere Preise erzielt als Gold. Nach Angaben der Naturschutzorganisation WWF haben Wilderer im ersten Halbjahr 2013 allein in Südafrika 461 Nashörner getötet. "Wenn das so weitergeht, können die Bestände leicht wieder zusammenbrechen", sagt Robert Hermes. Umso wichtiger sei es, zumindest genetisches Material für künftige Zuchtbemühungen zu retten.

Gefrorene Versicherungen

Tatsächlich bemühen sich viele Institutionen weltweit, die Erbinformationen von möglichst vielen Tier- und Pflanzenarten zu sammeln und für die Zukunft zu bewahren. Auch das IZW besitzt eine entsprechende Kollektion. "Eingefrorenes Sperma ist das Material, das man am einfachsten in eine solche Genbank einspeisen kann", sagt Robert Hermes.

Doch auch bei der Gefrierkonservierung von Eizellen sind seine Kollegen schon ein Stück weitergekommen. So ist es einem Team um Katharina Jewgenow kürzlich gelungen, die Eierstockrinde verschiedener Katzenarten einzufrieren und unversehrt wieder aufzutauen [3]. Dieses Gewebe ist ein Keimzellreservoir, das mehrere tausend unbefruchtete Eizellen enthält. Damit können die Forscher neben der männlichen nun auch die weibliche Seite der genetischen Vielfalt bewahren. Eine letzte Versicherung gegen das Aussterben.

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