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Neurowissenschaften: Vergiftet sich das Hirn beim Altern?

Neuronen

Organe altern, wenn ihre Zellen vergreisen. Immerhin passiert dies einer Durchschnittszelle aber im Normalfall erst, nachdem sie sich rund 25- bis 50-mal geteilt hat und in eine Art natürlichen Ruhestand versetzt wird: die zelluläre Seneszenz – ein Schutzmechanismus des vielzelligen Organismus, der verhindert, dass sich genetische Fehler und ihre Folgen anhäufen, die im Zuge der Zellteilung und des andauernden zellulären Stresses unvermeidlich sind. Die Seneszenz hat aber auch ihre Tücken, weil die vergreisten Zellen ihre Nachbarschaft mit biochemischem Abfall belästigen können, der sich im Lauf ihres Lebens angesammelt hat. Ebendies könnte im alternden Gehirn Schäden verursachen, befürchten nun Forscher um Thomas von Zglinicki von der Newcastle University: Sie stießen dort auf eine unvermutete Form neuronaler Seneszenz.

Fündig wurden die Forscher dabei zunächst im Hirn von Mäusen, indem sie gezielt Purkinje-Neurone untersucht haben – diese Zellen des Kleinhirns sind recht groß und daher relativ leicht zu untersuchen, vor allem aber bekannt dafür, bestimmte Altersverschleißerscheinungen zu zeigen. Ziel der Forscher war es, herauszufinden, was das Altern solcher langlebiger Zellen wie der Hirnneurone ausmacht, die sich nicht durch regelmäßige Teilungen ständig selbst verjüngen können. Zu ihrer Überraschung stießen die Forscher in den Neuronen dabei auf charakteristische Signale von bestimmten Zellmarkern, die sie sonst nur von typischen teilungsaktiven Zellen in ihrer Seneszenzphase kannten. Überraschend ist das vor allem, weil die Seneszenzmechanismen eng mit der Regulierung der Zellzyklen – also mit der Organisation der Teilungsphasen – zusammenhängen; die Neurone aber teilen sich ja gar nicht.

Das Resultat verändert zunächst einmal grundlegende Theorien über die internen Mechanismen verschiedener Zelltypen. Rein akademisch ist dies aber womöglich nicht, spekulieren die Forscher, weil zelluläre Seneszenz von teilungsaktiven Zellen – etwa den besonders gut untersuchten Fibroblasten – einige negative Folgen mit sich bringen könnte. So geben die alten Zellen beispielsweise reaktive Sauerstoffradikale und proinflammatorische Signalstoffe in die Umgebung ab. Das könnte als Kollateralschaden den Stress erhöhen, dem benachbarte, sonst gesunde Zellen ausgesetzt sind. Im Gehirn, in dem sich Zellen nicht ständig erneuern können, wäre das vermutlich besonders schädlich – und vielleicht ein bisher unterschätzter Auslöser der Neurodegeneration.

Im Wesentlichen seien die Alterungsprozesse von teilungsaktiven und nicht teilungsaktiven Zellen womöglich weniger stark unterschiedlich als bisher postuliert, fassen die Forscher zusammen. Im Zentrum des Prozesses könnte bei beiden die im Alter zunehmend überforderte DNA-Reparatur stehen, wie die Ergebnisse nahelegen: Wenn Schäden im Erbgut zunehmen und die Ausbesserungsarbeiten der Zelle überfordert sind, lösen teilungsaktive Zellen den üblichen Zellzyklus lahm und gehen in die Seneszenz über. Derselbe Mechanismus laufe aber wohl auch bei den untersuchten Hirnneuronen ab.

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  • Quellen
Aging Cell 10.1111/j.1474–9726.2012.00870.x

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