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Raumfahrtgeschichte: Verschmähte RaumfahrtpionierInnen

In einem Privatprojekt durchliefen Frauen mit Bravour die Astronautentests der NASA - genützt hat es ihnen nichts. Verschollene Ergebnisse wurden jetzt veröffentlicht.
Jerrie Cobb von den Mercury 13
Man male sich Folgendes aus: In einen dicken Raumanzug verpackt klettert eine Figur die Leiter des Mondlandemoduls herab, setzt als erster Mensch den Fuß auf einen fremden Himmelskörper und spricht die Worte: "Ein kleiner Schritt für eine Frau, aber ein großer für die Menschheit ..."

Im Amerika der 1960er Jahre dürfte diese Vorstellung wohl bei den meisten die Grenzen der Fantasie gesprengt haben. Auch wenn die NASA das Rennen um den ersten Menschen im All verloren hatte – die Ersten zu sein, die eine Frau in den Weltraum schießen, überließ man von vorneherein großzügig dem Konkurrenten im Osten: Die Russin Walentina Tereschkowa konnte 1963 diesen Titel für sich beanspruchen.

Geraldyn "Jerrie" Cobb | Jerrie Cobb posiert neben einer Mercury-Kapsel. Die Amerikanerin schnitt in den Tests als Beste ab.
Nicht alle scheinen allerdings gleich gedacht zu haben. In einem wenig bekannten Projekt, dem "Women in Space Program" (WISP), wurden von 1959 bis 1961 19 Frauen denselben Tests unterzogen wie ihre männlichen Kollegen bei der NASA. 13 von ihnen bestanden mit der Bestnote "keine medizinischen Einwände". Sie erhielten viele Jahre später in Anlehnung an das gleichzeitig verfolgte Mercury-Programm, den ersten Anlauf der NASA zur bemannten Raumfahrt, den Spitznamen "Mercury 13".

Ganz pragmatische Überlegungen waren Anlass für zwei Luftfahrtmediziner, unter erfahrenen Pilotinnen gezielt nach Kandidaten für eine Astronautenkarriere zu suchen: Frauen wiegen weniger als Männer, ihr Einsatz spart also Treibstoff; zweitens sind sie weniger anfällig für Herzinfarkte, was nach damaliger Meinung eine der größten Gefahren für Raumfahrer darstellte; drittens fürchtete man, die kosmische Strahlung würde den Fortpflanzungsapparat der Männer schneller schädigen als den der Frauen.

Aber weder beteiligte sich die NASA offiziell an den Versuchen, noch wurden deren Ergebnisse detailliert publiziert. Mittlerweile sind sie allesamt verschollen bis auf die Resultate der Tests zum Sauerstoffverbrauch. Ein ehemaliger Mitarbeiter eines Projektteilnehmers konnte sie nun wieder auftreiben und veröffentlichte sie jetzt in einem Fachjournal. Sie bestätigen, was sich bisher eher mündlich verbreitet hatte und Gegenstand von Legenden war: Die Frauen schnitten nicht schlechter und teilweise sogar deutlich besser ab als die Männer.

Federführend bei WISP war Randy Lovelace, ein Mediziner und Entwickler von Sicherheitssystemen in der Luftfahrt. Er und der Raumfahrtberater Donald Flickinger, der einer Air-Force-Forschungseinrichtung angehörte, hatten gemeinsam das Programm ins Leben gerufen. Zunächst testeten sie noch in Flickingers Institut selbst, später aus Mangel an offizieller Unterstützung in privaten Forschungseinrichtungen wie der Lovelace Clinic in New Mexico, die dem Onkel des Mitgründers gehörte und auch der NASA bei den physiologischen Auswahlverfahren zuarbeitete.

Jerrie Cobb bei einem Test | Die Projektgründer Lovelace und Flickinger hielten Frauen für geeigneter, weil sie weniger anfällig für Herzinfarkte sind. Die Gefahr eines Herzstillstandes oder anderer Beeinträchtigungen des Organs galt als eine der größten Bedrohungen der Schwerelosigkeit.
Eine Persönlichkeit stach besonders hervor: Die Pilotin Geraldyn "Jerrie" Cobb zeigte sich allen Anforderungen mehr als gewachsen. Um die Leistungsfähigkeit bei sensorischer Deprivation, also bei Abschaltung sämtlicher Sinneswahrnehmungen, zu messen, wurde sie in einen vollständig geschlossenen, zur Hälfte mit Wasser gefüllten Tank gelegt. Versuche mit einhundert Freiwilligen hatten zuvor ergeben, dass die Obergrenze für einen Aufenthalt im Tank, bei dem noch keine Halluzinationen einsetzen, maximal sechs Stunden betrug. Jerrie Cobb verließ ihn nach über neun Stunden, als die Forscher das Experiment abbrachen. Zwei nach ihr getestete Kolleginnen bleiben sogar noch eine Stunde länger.

Die psychologischen Tests, mit denen die NASA hingegen ihre Anwärter überprüfte, waren weniger rigide. John Glenn, der später der erste Amerikaner im Weltraum wurde, hat nach Angaben der Autoren davon berichtet, wie er in einem abgedunkelten Raum drei Stunden lang an einem Schreibtisch hatte sitzen müssen und die Zeit zum Dichten nutzte.

Der NASA zu unterstellen, sie habe mit Absicht keine Frauen in das Programm aufgenommen – oder gar unterschiedliche Maßstäbe für beide Geschlechter gesetzt –, wird aber wohl nicht den historischen Gegebenheiten gerecht. Um die Liste der Anwärter auf ein handlicheres Maß zu beschneiden, hatte man sich vorab darauf geeinigt, ausschließlich Testpiloten in die Auswahl zu nehmen. In diesem hochriskanten Job sah man eine ideale Vorbildung für die nicht minder gefährliche Astronautenkarriere.

Da aber nur die Navy und die Air Force Experimente mit neuen Fluggeräten machten und in ihre Pilotenausbildung ausschließlich Männer aufnahmen, stellte sich die Frage, ob auch Frauen in die Tests einbezogen werden sollten, überhaupt nicht. Unwahrscheinlich ist hingegen auch nicht, dass diese für Frauen nachteilige Regelung den Verantwortlichen nicht ganz ungelegen kam.

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