Direkt zum Inhalt

ExoMars: Verschollene Mars-Sonde zerschellte womöglich

Der Mars-Lander Schiaparelli sollte zeigen, dass auch die ESA auf anderen Planeten landen kann. Doch die Sonde, welche die nötige Technik testen sollte, meldet sich nicht mehr – ihr Schicksal ist auch rund 16 Stunden nach der Landung ungewiss.
Schiaparelli trennt sich vom Trace Gas Orbiter (künstlerische Darstellung)

Update 2, 20. Oktober 2016, 12:30 Uhr MESZ: In einer von der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA kurz nach der Pressekonferenz verbreiteten Information kamen weitere Details des Flugs von Schiaparelli zu Tage. Demnach erfolgte die Abtrennung von Fallschirm und hinterem Hitzeschild zu früh in noch unbekannter Höhe über Grund. Die Bremstriebwerke haben drei bis vier Sekunden gebrannt und sich viel zu früh abgeschaltet. Der Funkkontakt zu Schiaparelli riss aber offenbar erst 19 Sekunden nach dem verfrühten Brennschluss ab, wie es ein Tweet einer Raumfahrtjournalistin vermeldet, die mit Andrea Accomazzo, einem der Projektverantwortlichen bei der ESA, ein Gespräch führte. Damit erhöht sich leider die Wahrscheinlichkeit, dass Schiaparelli mit viel zu hoher Geschwindigkeit auf die Marsoberfläche geprallt ist und dabei zerschellte.

Update 1, 20. Oktober 2016, 11 Uhr MESZ: Nach wie vor konnte die Europäische Raumfahrtbehörde ESA keinen Kontakt mit ihre Landesonde Schiaparelli nach ihrem Aufsetzen am 19. Oktober 2016 herstellen, die US-Raumsonde Mars Reconnaissance Orbiter (MRO) fing bei ihren Überflügen keinerlei Funksignale von der Marsoberfläche auf. Während des Abstiegs von Schiaparelli empfing seine Muttersonde TGO rund 600 Megabyte an Telemetriedaten und zeichnete sie auf. TGO übermittelte diese technischen Daten, die Auskunft über die Betriebszustände des Landers geben, nach seinem erfolgreichen Eintritt in die geplante Marsumlaufbahn. Aus ihnen geht nach den bislang nur sehr vorläufigen Auswertungen hervor, dass der Funkkontakt zu Schiaparelli etwa 50 Sekunden vor dem erwarteten Aufsetzen auf der Marsoberfläche verloren ging.

Die Daten zeigen außerdem, dass der Eintritt in die Marsatmosphäre, das Abbremsen mit dem Hitzeschild und das Auswerfen des Fallschirms wie geplant über die Bühne gingen. Die Probleme begannen erst nach Abwurf des Fallschirms mitsamt dem hinteren Teil des Hitzeschilds. Die Bremstriebwerke zündeten für etwa drei bis vier Sekunden, und das Bodenradar des Landers zur Anflugkontrolle war aktiv. Dann aber riss das Signal ab, und es wurden keine Daten mehr empfangen. Somit ist das Schicksal der Landesonde ungewiss, die ESA hat derzeit keine Informationen über ihren Zustand.

Es ist also möglich, dass die Sonde in wahrlich letzter Minute zerschellt ist oder auch, dass sie intakt die Marsoberfläche erreicht hat, aber aus irgendeinem Grund keinen Funkkontakt zu den im Orbit befindlichen Marssonden aufbauen kann. Auf jeden Fall soll weiter mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln versucht werden, Kontakt mit Schiaparelli aufzubauen. Zudem soll der Mars Reconnaissance Orbiter (MRO) von der Umlaufbahn aus Schiaparelli an seinem Aufsetzpunkt direkt fotografieren. Die ESA wertet die Testmission von Schiaparelli trotz des abgerissenen Kontakts als Erfolg: Der Lander sendete kontinuierlich Daten vom Eintritt und Abstieg zur Marsoberfläche, deren Gewinnung Ziel der Landemission war. Die Muttersonde TGO, deren Nutzlast den wissenschaftlichen Teil der ExoMars-Mission darstellt, wird ihre Arbeit im Marsorbit wie geplant aufnehmen können.

Um zwei Minuten nach fünf war erst einmal Schluss: Die Bodenstation im indischen Pune empfing kein Signal mehr vom ExoMars-Lander Schiaparelli, dem neuesten Versuch der ESA, eine robotische Sonde sanft auf einem Planeten landen zu lassen. Zuvor hatte die Sonde während der komplexen Landesequenz, analog zum Abstieg des NASA-Roboters Curiosity "six minutes of terror" getauft, hoffnungsvolle Signale gesendet.

Nachdem die buchstäblich heiße Phase des Atmosphäreneintritts vorbei war, in der wegen des heißen Plasmas um die Sonde keine Funkverbindung möglich ist, empfing die indische Antenne das schwache Signal der Sonde. Eine leichte Verschiebung der Frequenz zeigte an: Der Fallschirm bremste die Sonde. Und auch die Zündung der Landetriebwerke mehr als einen Kilometer über der Oberfläche war noch zu erkennen.

Und dann: nichts.

War die Sonde gecrasht, wie so viele Mars-Lander vor ihr? Mit mehr als 20 000 Stundenkilometer trat der Orbiter, geschützt von seinem Hitzeschild, in die Marsatmosphäre ein, Fallschirm und Bremsraketen sollten das Landemodul sanft zur Oberfläche sinken lassen. Hüpfer, wie sie der Kometenlander Philae auf Tschurjumow-Gerasimenko hinlegte, wären für Schiaparelli mit Sicherheit fatal gewesen.

Hatten nur Gas und Staub der untersten, dichten Atmosphärenschichten das schwache Signal geschluckt? Eine weitere Dreiviertelstunde sollte es dauern, bis Mars Express, der Methusalem unter den europäischen Marsorbitern, die von ihm empfangenen Daten von Schiaparellis Sinkflug sandte. Demnach brach das Signal während des "powered descent", dem durch die Triebwerke gebremsten Abstieg ab, etwa eine Minute vor dem Bodenkontakt und mehrere hundert Meter über der Oberfläche.

Was die Sonde mitten im Flug außer Gefecht setzte, ist noch unklar. Eine Kollision mit einem abgetrennten Teil wie dem Hitzeschild sei sehr unwahrscheinlich, heißt es aus ESA-Kreisen. Landungen auf fremden Planeten sind notorisch heikel, nicht nur, weil der gesamte Abstieg wegen der langen Laufzeit der Signale zwischen Mars und Erde automatisch geschehen muss. Mit Schiaparelli, der wenig wissenschaftliche Nutzlast trägt, will die ESA ihr Können auf diesem Gebiet beweisen.

Das Landeverfahren von ExoMars 2016 | Drei Tage vor der geplanten Ankunft am 19. Oktober 2016 wird das Landemodul Schiaparelli vom Trace Gas Orbiter (TGO) abgetrennt, der sich zu dieser Zeit auf Kollisionskurs mit dem Roten Planeten befindet. Bis zur Abtrennung sorgt TGO dafür, dass sich Schiaparelli exakt auf Kurs befindet. Danach lässt sich die Bahn des Landemoduls nicht mehr abändern. In etwa 100 Kilometer Höhe trifft es mit einer Geschwindigkeit von 5,8 Kilometern pro Sekunde auf die dichteren Schichten der Marsatmosphäre. Nun wird das Landemodul durch Reibung rasch abgebremst. Nachdem die Atmosphäre die Geschwindigkeit auf rund 500 Meter pro Sekunde reduziert hat, öffnet sich ein zwölf Meter großer Fallschirm, und kurze Zeit später wird der vordere Hitzeschild abgeworfen. Bei Unterschreiten einer Geschwindigkeit von 70 Metern pro Sekunde wird der hintere Hitzeschild samt Fallschirm abgetrennt. Nun zünden die neun Triebwerke des Moduls und bremsen aktiv bis zum Stillstand in zwei Metern Höhe. Dann schalten die Triebwerke ab, und das Modul setzt im freien Fall auf.

Wissenschaftlich gesehen ist jedoch ein anderes, weit weniger spektakuläres Manöver viel interessanter: Der Orbiter TGO zündete um fünf Minuten nach drei deutscher Zeit sein Haupttriebwerk, um in seine Umlaufbahn um den Mars einzuschwenken. Die 70-Meter-Antenne der NASA im australischen Canberra verfolgte anhand der Doppler-Verschiebung des Trägersignals der Sonde ihren Geschwindigkeitsverlust.

TGO wird sich mit der spannendsten Marsentdeckung der letzten Jahre befassen: Methan in der Atmosphäre des Roten Planeten. Sonnenlicht, aggressiver Staub und Komponenten der Atmosphäre setzen das Gas permanent um. Damit es selbst in den winzigsten Spuren vorkommt, muss es permanent nachproduziert werden. Möglicherweise geschieht das durch chemische Prozesse in der planetaren Kruste, es wäre ein erster Hinweis auf die bisher noch völlig unbekannten Vorgänge unter der Marsoberfläche. Oder aber das Methan stammt aus der gleichen Quelle wie auf der Erde: dem Stoffwechsel von Lebewesen.

Doch während der Orbiter TGO zum vorausberechneten Zeitpunkt hinter dem Mars wieder auftauchte, muss die Missionsleitung des Landers die Öffentlichkeit weiter vertrösten. Erst die Analyse der vom ExoMars-Orbiter TGO empfangenen Daten werde Aufschluss über das genaue Schicksal der Landemission geben. Das wird bis spät in die Nacht dauern.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.