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Gentherapie: Versetzt werden in der Lotsenschule

Wäre das Leben eine Bauklötzchen-Baustelle, dann würden sich alle Forscher mit ruhiger Hand viel leichter tun beim Ausbessern von Konstruktionsfehlern. Natürlich nur, wenn sie die Bauklötzchen heben, ohne zu zittern an die richtige Stelle setzten und verstehen könnten, was sie da eigentlich genau tun. Bei der Gentherapie nähern sich langsam Theorie und Praxis.
Genfähre Lentivirus
Die Idee ist mittlerweile schon so alt wie gut: Krankheiten, die auf defekten Genen beruhen, zu heilen, indem man die fehlerhaften durch funktionierende Erbgutschnipsel austauscht. Die Theorie der Gentherapie leuchtet also ein – leider aber fängt mit der Umsetzung guter Ideen meist ein Haufen lästiger Abschinderei an praktischen Details an. Worin bekanntermaßen der Teufel steckt, und der verhexte in wenigen Jahren die hoffnungsfrohe Therapievision in ein abschreckendes Beispiel für in Lebenswirklichkeiten versandeten Aufbrüchen zu allzu vollmundigen Zielen. Die Aktien der Gentherapie erlebten eine Baisse wie jene der Neue-Markt-Startups.

Viel langsamer als erhofft, und lange nachdem die Marktschreier der Zunft das nächste kommende Wundermittel zu pushen begannen, produzieren nun Labors mit langem Atem aber wirklich gentherapeutische Erfolge. Die Leber'sche kongenitale Amaurose (LCA), sie führt zur Blindheit, konnte etwa durch das Einschleusen eines funktionskräftigen Ersatzes für das krankhaft mutierte Gen GUCY2D geheilt werden – am Hühnerembryo vorerst, aber immerhin. Und vor ein paar Monaten präsentierten Forscher sogar, was sie die "erste gelungene Gentherapie an erwachsenen Menschen" tauften.

Die Forscher hatten zwei Patienten mit Septischer Granulomatose, einer angeborenen Immunschwäche, Stammzellen entnommen, diesen gesunde Kopien des Gens gp91phox eingeschleust und die Zellen reimplantiert. In beiden Erkrankten erholte sich die geschädigte Körperabwehr daraufhin, weil ihr Körper wieder wie in Gesunden funktionsfähige Phagozyten – eine Untereinheit der Immunabwehr – bilden konnte.

Gerade dieser Erfolg wirft aber bei genauerem Hinschauen ein Schlaglicht auf die praktischen Probleme der Gentherapie: Die heilsame Genfracht punktgenau an jene Zellen zu liefern, die diese auch benötigen. Zellen mit Erbgut-Defekt zu entnehmen, außerhalb des Körpers genetisch aufzumotzen und dann wieder zu reimplantieren, ist kostspielig und arbeitsintensiv, mag im Einzelfall aber durchaus gelingen – wenn es sich um zu reparierende Stammzellen handelt. Viel genereller einsetzbar wäre aber Gentherapie, wenn es möglich würde, im Körper Zielzellen jedweder Organe selektiv finden und therapieren zu lassen. Dies setzt allerdings ziemlich leistungsfähige Genfähren mit herausragender Zielfindungskompetenz voraus – und an genau diesem Detail scheiterten eben bislang einige hoffnungsfrohe Ansätze im der Praxis.

Der Herausforderung, Gene in Transportern mit Intelligenz ans Ziel zu lenken, stellte sich auch die Arbeitsgruppe von Pin Wang an der Universität von Südkalifornien. Sie setzten wie viele andere auf seit Jahrmillionen bewährte Gen-Transporttechnik: Viren. Als Vektoren für Erbgutübermittlung nutzen Wissenschaftler besonders gerne Lentiviren, zu denen etwa auch das HI-Virus gehört. Die komplexen Retroviren haben etwa den Vorteil, dass sie Gene auch in Zellen einbringen können, die sich nicht gerade teilen, was die allermeisten Körperzellen eben nicht ständig tun. Zudem sind Lentiviren sehr viel größer als einfache Retroviren, und können so mehr genetisches Material zur Übertragung aufnehmen – ideal. Fehlt eben nur noch die Zielzellenerkennung.

Dabei wären Viren doch eigentlich natürliche, gut ausgestattete Spezialisten der Zellaufklärung. Sie erkennen ihre Zellbeute mit Hilfe eines hochkomplexen biochemischen Multifunktionstools namens Hüll-Glykoprotein (Env, envelope glycoprotein), einem Eiweiß-Zucker-Rezeptor mit zwei Hauptbegabungen: Eine Greifregion dockt passgenau an Oberflächenmerkmale von Zellhüllen an, ein Fusionswerkzeug leitet dann das Verschmelzen mit der Zellmembran und damit das Eindringen des Virus in die Zelle ein. Beide, Fusionswerkzeug und Greifer, können zwar schon künstlich verändert werden, um andere als die originalen Vorzugszellen eines Virus zu attackieren. Meist geht dabei aber etwas schief – etwa so, dass der mit den ungeschickten Forscherfingern anmontierte neue Greifer sich zwar die richtigen Zellgriffe schnappt, der beim molekularen Rumdoktern an Env kollateral mitveränderte Fusionsauslöser dann aber leider versagt.

Verbesserte Genfähre Lentivirus | Nachdem der Antikörper charakteristische Zelloberflächenproteine erkannt und das Virus in der Folge fest an die Außenseite der Zielzelle angedockt hat, wird es von ihr in einem Membranvesikel, dem Endosom, aufgenommen. Wird dieses angesäuert, dann tritt das Fusogen-Protein auf den Plan, verschmilzt Virushülle mit Endosommembran und sorgt für den Austritt des transportierten Erbguts in das Cytosol der Zelle. Im Zellkern können Gene dann in DNA übersetzt und schließlich in das Erbgut der Zelle eingebaut werden.
Pin Wang und Co setzten daher auf eine subtilere Veränderung an ihrer verbesserten viralen Fähre: Statt die Erkennungsregion von Env völlig umzubauen, schalteten die Forscher sie einfach nur durch eine gezielte Mutation ab, genehmigten ihrem Lentivirus aber zudem andernorts ein paar fest eingebaute spezielle Antikörper in der Hülle. Theoretisch müssten diese Antikörper ausgesuchte Zielzellen – in diesem Fall testweise B-Immunzellen – an deren typischen Oberflächenmerkmalen erkennen und sich an ihnen festheften. Neben der absichtlich funktionslosen Erkennungsregionen von Env sollten aber zudem noch die fusionsauslösenden Domänen des kaum veränderten Viruswerkzeuges Env arbeiten, hofften die Wissenschaftler. Dieses sollte nun an Ort und Stelle festgeheftet an der Zielzelle in Aktion treten, und das Virus hinter die nächstmögliche Membran geleiten. Und all das sollte zudem nicht im Reagenzglas, sondern in den durchpulsten Adern einer lebenden Maus funktionieren.

Nicht zu viel verlangt, wie die Ergebnisse der Forscher belegen: Sie hatten Mäusen zuerst menschliche B-Zellen injiziert, dann sechs Stunden später veränderte Viren mit einem leuchtenden Reportergen im Inneren, die Antikörper gegen die B-Zellen in der Hülle trugen. Nach zwei weiteren Tagen analysierte Wangs Team dann das Blut der Nager, fand darin die gesuchten B-Zellen und stellte fest, dass diese bereits größere Mengen des viral transportierten Gens eingebaut hatten. Ein voller Erfolg. So oder so ähnlich müsste das eigentlich mit vielen verschiedenen Antikörper/Zielzellen-Kombinationen funktionieren, hoffen die Wissenschaftler.

Das eingesetzte Fusionsprotein sorgte zudem dafür, dass die Viren nicht zu früh, sondern genau zum richtigen Augenblick ihre Genfracht abluden, weil es erst bei plötzlich sinkenden pH-Werten aktiv wurde. Diese treten dann auf, wenn ein angedocktes Virus von den B-Zellen aktiv in eine Endosom-Zellvakuole befördert wird, die dann angesäuert wird. Normalen B-Zell-Kunden macht dies den Garaus – das Fusionsprotein des neuen, verbesserten Virus aber wird erst unter diesen Bedingungen aktiv und entlässt seine Fracht ins Innere der zu reparierenden Zelle. Gehe dies schnell genug, so seien ihrer Gentherapie-Methode im Prinzip keine Grenzen gesetzt, freuen sich Wang und Kollegen. Diesmal wohl nicht eine voreilige Versprechung – bei mindestens zwei ganz anderen Zielzellen haben sich ihre optimistischen Vorhersagen genereller Einsetzbarkeit zumindest schon bewährt. Vielleicht folgen echte Erfolge – und dann bestimmt auch wieder laute Schlagzeilen von denen, die es schon vor Jahren immer schon gewusst haben und sich nur zwischenzeitlich anderem zugewandt hatten.

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