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Erschöpfungssyndrom: Verursacht veränderte Darmflora chronische Müdigkeit?

Was das Chronische Erschöpfungssyndrom auslöst, ist noch unverstanden. Mediziner entdeckten einen Zusammenhang mit Verschiebungen im Mikrobiom des Darms.
Erschöpfter Mann stützt sich auf einem Stuhl ab

Rund 300 000 Menschen sollen in Deutschland unter dem Chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS) leiden. Die Krankheit, auch myalgische Enzephalomyelitis genannt, ist erst seit wenigen Jahren anerkannt und zeichnet sich durch verschiedene Symptome aus, von denen die totale geistige und körperliche Erschöpfung die auffälligste ist. Anerkannte, wirksame Therapien existieren momentan ebenso wenig wie wissenschaftliche Erkenntnisse, was dieses Leiden überhaupt auslöst. Auf der Suche nach klinischen Nachweismethoden für CFS haben Maureen Hanson von der Cornell University und ihr Team einen möglichen Zusammenhang mit den Bakteriengemeinschaften im Darm entdeckt. Bislang ist es relativ schwierig, CFS schnell und akkurat zu diagnostizieren. Hanson und Co testeten daher an knapp 90 Personen, ob sie mit Hilfe bestimmter Marker die Krankheit über Tests aufspüren können. Dazu setzten sie biologische Marker für die Bestimmung der Darmfloravielfalt ein und verglichen deren Genauigkeit mit Nachweisverfahren für Entzündungssignale im Blut.

Von den 87 Teilnehmern litten 48 unter CFS, 39 waren dagegen gesund. Im Versuch erkannten die Forscher bereits anhand der biologischen Marker dann 83 Prozent der tatsächlich vom Erschöpfungssyndrom betroffenen Probanden. Die vorhandene oder fehlende Diversität der Darmbakterien kann also Aufschluss darüber geben, ob jemand von CFS betroffen ist. Und das Ergebnis legt nahe, dass das Mikrobiom eventuell mit dafür sorgt, dass CFS überhaupt entsteht. "Unsere Arbeit weist darauf hin, dass das Mikrobiom im Darm von CFS-Patienten nicht normal ist. Vielleicht sorgt es dafür, dass Entzündungen im Körper der Betroffenen auftreten", so Hanson. "Unser Nachweis belegt zudem erneut, dass diese Krankheit keine psychischen Ursachen hat."

CFS-Patienten wiesen demnach im Vergleich zu Gesunden eine verringerte Bakterienvielfalt in ihrem Verdauungssystem auf. Besonders betroffen von den Verschiebungen waren entzündungshemmende Gruppen, die verschwanden, während entzündungsfördernde Keime mengenmäßig zunahmen. Womöglich wird auch dadurch begünstigt, dass Mikroben aus dem Gedärm ins Blut übergehen, was wiederum das Immunsystem reizt und bestimmte Symptome von CFS verschärft. Darauf deuten zumindest bestimmte Entzündungskennwerte im Blut hin, die Hansons Gruppe festgestellt hat. Unklar ist aber noch, ob das veränderte Mikrobiom Ursache oder Symptom der chronischen Müdigkeit ist. Viele Forschungsarbeiten der letzten Jahre lassen jedoch vermuten, dass die Darmflora starken Einfluss auf unser physisches wie psychisches Wohlbefinden hat – so wird beispielsweise ein Zusammenhang mit Depressionen diskutiert. Auch Fettleibigkeit hängt wohl entscheidend von der Zusammensetzung der Darmbakterien mit ab.

Das Nachweisverfahren von Hanson und Co ist mittlerweile das zweite, das mit einer 80-prozentigen Genauigkeit CFS erfassen kann: Vor wenigen Monaten hatte eine andere Forschergruppe das Syndrom über SNPs (single nucleotide polymorphisms) diagnostiziert. Ob über die Darmbakterien die Krankheit beeinflusst werden kann, ist unklar; eventuell können Betroffene ihre Symptome lindern, wenn sie die Ernährung umstellen und zum Beispiel probiotische Lebensmittel zu sich nehmen. Erfahrungswerte hierzu lägen jedoch noch nicht vor, so die Wissenschaftler. 2015 erschien zudem eine Studie, laut der das Krebsmedikament Rituximab zwei Drittel aller getesteten CFS-Patienten von ihren Symptomen befreien konnte.

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