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News: Verwirrte Scheren

Manchmal unterläuft unseren Zellen ein Fehler. Die Folge kann im schlimmsten Fall Krebs heißen, und oft findet sich dessen Ursache bei der fehlerhaften Bildung der Boten-RNA: Sie entsteht aus einer Vorlage, aus der noch überflüssige Stücke sehr exakt herausgeschnitten werden müssen. Wie das genau geschieht, steht schon in Schulbüchern, und Wissenschaftler dachten bislang, sie hätten diesen Mechanismus verstanden - vielleicht ein Trugschluss, zeigen neue Untersuchungen.
Um ein neues Protein herzustellen, müssen viele komplizierte Arbeitsschritte in unseren Zellen erfolgreich ablaufen. Zuerst wird ein Gen, der Protein-Bauplan auf der DNA, in eine transportable Kurzanleitung, die Boten- oder m-RNA, übersetzt. Dabei taucht ein Problem auf: In vielen Genen finden lange Abschnitte, die gar keine sinnvollen Informationen zum Bau des eigentlichen Proteins enthalten. Diese Regionen von genetischem Nonsens, die so genannten Introns, müssen also aus der m-RNA entfernt werden. Das geschieht bei einem als "Spleißen" bezeichneten Vorgang. Die Introns werden dabei von speziellen Enzymen aus der RNA herausgeschnitten. Anschließend werden die übriggebliebenen Exons, also die Abschnitte mit der eigentlichen Information, wieder miteinander verbunden – fertig ist die m-RNA.

Alle am spleißen beteiligten Enzyme müssen ihre Aufgabe natürlich sehr exakt erfüllen. Arbeiten die Scheren ungenau, dann bleiben entweder unsinnige Intron-Reste in der fertigen m-RNA oder es fehlen Informationen eines zu großzügig angeschnittenen Exons. Die Folgen solcher Spleiß-Fehler können verschiedene Krankheiten sein, denn die mangelhaft gebildeten Proteine erfüllen meist ihre Aufgaben nicht mehr vollständig. Vermutet wird, dass dies auch mit dem Ausbruch von Krebs zu tun haben könnte.

Schon bekannt war, dass falsches Spleißen häufig dann geschieht, wenn die Enden der zu entfernenden Introns mutierte Sequenzen enthalten und daher nicht mehr von den Schneide-Enzymen zu erkennen sind. Jetzt aber haben Wissenschaftler um Francisco Baralle des International Centre for Genetic Eneneering and Biotechnology herausgefunden, dass nicht nur an den Enden der Introns wie bisher vermutet, sondern auch weit davon entfernt, mitten im bisher als Nonsens angesehenen Code, wichtige Informationen für die Spleiß-Scheren enthalten sind.

Darauf gestoßen sind Baralle und seine Mitarbeiter bei der Untersuchung eines Patienten mit Louis-Bar-Syndrom. Die m-RNA des krankheitsauslösenden Proteins war in dessen Zellen etwas länger als in Zellen von Gesunden: Ein Intron war fälschlicherweise nicht herausgeschnitten worden. Die Ursache dafür war, dass inmitten des Introns ein sehr kurzer Abschnitt fehlte. Diese Informationen dienten den Enzymen offenbar als Intron-Markierung.

Die Forscher konnten das fehlende Sequenzstück aus gesunden Zellen isolieren und in ein Exon eines völlig anderen Genabschnitts einbauen. Daraufhin wurde dieses leicht veränderte Exon, obwohl ja eigentlich sinnvoll, beim Spleißen als Intron behandelt – und folglich herausgeschnitten.

Barelle vermutet jetzt, dass die neu entdeckte Intron-Markierungssequenz eine sehr grundlegende Bedeutung für den Mechanismus des Spleißen hat und möglicherweise eine Rolle bei der Entstehung einer ganzen Reihe verschiedener Krankheiten spielt.

Unterstützung bekommt er von Kollegen wie Jim Manley der New Yorker Columbia University, der von einer "wichtigen Entdeckung" spricht. Nachdem die bisherige Vorstellung des Spleiß-Vorgangs offenbar etwas zu stark vereinfacht war, äußert Manley sich aber zugleich vorsichtig: Darüber, ob eine Sequenz als Exon erhalten oder als Intron entfernt wird entscheiden möglicherweise "ein Dutzend ähnlicher Mechanismen".

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