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Mikrobiologie: Vetternwirtschaft bei Mikroben

Der Vater verhilft dem Sohnemann zum Job in seiner Firma. Die böse Stiefmutter behandelt die Stiefkinder schlechter als ihre eigenen. Aber sollten selbst Einzeller ihre Verwandten bevorzugen?
Dictyostelium purpureum Sporenkapsel
Vetternwirtschaft ist fast aus jedem menschlichen Kulturkreis bekannt, und die Neigung dazu scheint tief verwurzelt zu sein. Selbst bei vielen Tierarten halten Blutsverwandte zusammen und stehen füreinander ein. Besonders bei Gefahr opfern sich ältere Familienangehörige häufig für die jüngeren auf, wenn es nötig sein sollte. Doch dafür müssen sich die Verwandten zunächst erkennen. Und dazu werden gewöhnlich Augen, Ohren, Nase oder wenigstens der Tastsinn benötigt – und am besten auch noch so etwas wie ein Gehirn, das die Sinneseindrücke verarbeitet und schlussfolgert: sieht aus wie Oma, riecht wie Oma – ist Oma!

Bedarf es wirklich in jedem Falle der Sinnesorgane und eines komplexen Nervensystems, um Verwandte zu erkennen? Neueste Erkenntnisse einer Forschergruppe der Rice-Universität in Houston lassen nun Zweifel daran aufkommen.

Fruchtkörpervorstufe | Die mit einem Fluoreszenzfarbstoff gefärbte Dictyostelium-purpureum-Zellen strömen zu einem Fruchtkörper zusammen.
Der zu den zellulären Schleimpilzen gehörende Einzeller Dictyostelium purpureum beschäftigt Biologen schon seit längerem auf Grund seiner außergewöhnlichen Lebensweise: In guten Tagen lebt die sich von Bakterien ernährende Amöbe alleine im Waldboden und vermehrt sich asexuell durch Teilung. Herrscht Futtermangel, schließen sich Tausende zu einem gallertartigen, beweglichen Verband zusammen, der wie eine Nacktschnecke umher kriecht. Der Zellverband verwandelt sich anschließend zu einem Fruchtkörper, in dem sich ein Teil der Zellen zu Sporen entwickelt, während der andere eine Stiel- und Kapselstruktur für diese formt und danach abstirbt. Der Stiel erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Sporenkapseln an vorbeistreifenden Tiere hängen bleiben, die sie in vielleicht nährstoffreichere Gegenden befördern. Angesicht dieses Verhaltens ist der Schleimpilz auch als soziale Amöbe bekannt.

Fruchtkörper | Ein Fruchtkörper von Dictyostelium purpureum: In dem kugelförmigen Gebilde an der Spitze befinden sich die Sporen, während der Stiel sich aus abgestorbenen Zellen zusammensetzt.
Aber Dictyostelium purpureum ist nicht gleich Dictyostelium purpureum: Es gibt verschiedene Klone, die untereinander feine genetische Unterschiede aufweisen, während sich die Amöben innerhalb eines Klon genetisch haargenau gleichen. Die Wissenschaftler um Natasha Mehdiabadi züchteten nun an diversen Stellen im Wald gesammelte D.-purpureum-Amöben im Labor, die wahrscheinlich alle zu verschiedenen Klonen gehörten. Um die Klone später auseinander halten zu können, markierten sie einen von jeweils zweien mit einem fluoreszierenden Farbstoff und ließen die beiden dann zusammen hungern.

Wie erwartet, schlossen sich die darbenden Amöben zu Fruchtkörpern zusammen. Doch in 12 von 14 Experimenten hatten sich die Klone zwar anfänglich gemischt, bildeten nachfolgend aber getrennt Fruchtkörper.

Selbst als die Biologen nur sehr wenige Amöben zusammensetzten, sodass die Zellen von einem Klon allein kaum zur Fruchtkörperbildung ausreichten, verweigerten sie die Zusammenarbeit. Die Trennung verlief allerdings nicht mehr ganz so strikt, wie in den vorangegangenen Versuchen.

Offensichtlich schließen sich die Amöben bevorzugt mit ihresgleichen zusammen, um einen Fruchtkörper zu bilden. Dadurch sichern sie, dass alle Sporen zum selben Klon gehören, von dem sich auch die Zellen zur Stielbildung aufopfern. Die Einzeller achten demnach darauf, nicht für Fremde ihr Leben zu lassen. Eine nah verwandte Art, Dictyostelium discoideum, tut das durchaus. Hier übervorteilt ein Klon oft den anderen, indem er mehr Sporen bildet, aber weniger zum Stiel beiträgt als der andere.

Auch ohne Augen, Nase oder Ohren – selbst ohne Denkorgan – erkennt Dictyostelium purpureum Oma, Opa und sogar Tante Trude. Wie es die einzelligen Wesen fertig bringen, ihre Verwandten zu identifizieren und sich mit ihnen zu verbünden, während sie genetisch nur leicht abweichende Zellen verstoßen, bleibt allerdings noch zu klären.

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