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News: Vom seidigen Faden

Seide ist ein Traum - sie fühlt sich schön an, ist stärker als Stahl und dabei luftig leicht. Zu gerne würden Ingenieure sie für die verschiedensten Anwendungen einsetzen, mit gezielt veränderten Eigenschaften und in großen Mengen. Doch in vielerlei Hinsicht steht Kunstseide ihrem natürlichen Vorbild noch nach. Und wie Raupen und Spinnen ihre Fäden ziehen, decken Wissenschaftler erst nur ganz allmählich auf.
Spinnennetz
Was glauben Sie, seit wann Menschen Seide gewinnen? Seit dem Mittelalter? Vielleicht begann es mit den alten Griechen? – Nein, viel früher. Vermutlich im 3. Jahrtausend vor Beginn unserer Zeitrechnung, also ungefähr als in Ägypten die ersten Pyramiden entstanden, kam man in China auf die Idee, die Kokons der Raupen des Maulbeerspinners (Bombyx mori) abzuhaspeln und zu Fäden für den eigenen Gebrauch zu verarbeiten. Seitdem hat Seide nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Erst vor wenigen Jahren hat beispielsweise die kanadische Firma Nexia Biotechnologies Ziegen mit gentechnischen Methoden so manipuliert, dass sie Seidenproteine herstellen und in ihre Milch absondern. Unter dem Namen BioSteel sind die daraus gefertigten Fasern im Handel.

Einen derartigen Aufwand würde kein Unternehmen treiben, wenn es sich keine entsprechenden Gewinnchancen davon versprechen dürfte. In der Tat könnte künstliche Seide, die im Aufbau dem natürlichen Vorbild sehr nahe kommt, mit Materialeigenschaften aufwarten, wie sie synthetische Fasern von heute bei weitem nicht haben. Seide ist leichter und stärker als Stahlseile und zugleich elastischer als Kevlar, darüber hinaus ist sie als Naturprodukt biologisch abbaubar. Im Prinzip könnte man mit einem fingerdicken Seil einen schwer beladenen LKW abschleppen und die Schnur anschließend in die Biomülltonne werfen.

Doch so weit ist die Technik noch nicht. Zwar lassen sich die Proteinbausteine der Seide bereits in den Milchdrüsen von Ziegen sowie in Tabak- und Kartoffelpflanzen produzieren, nur besteht nach wie vor das Problem, daraus einen Faden mit den gewünschten Eigenschaften zu spinnen. Damit tun sich die Wissenschaftler weiterhin schwer. Grund genug, den Meistern auf diesem Gebiet genau auf die Drüsen zu schauen und in Laborexperimenten nachzustellen, wie die Proteine kombiniert werden müssen und warum eigentlich die Spinndrüsen der sechs- bzw. achtbeinigen Produzenten nicht verkleben.

Die Ingenieure Hyoung-Joon Jin und David Kaplan von der Tufts University in Massachusetts gingen der Vermutung nach, dass dem Wassergehalt der Proteinlösung eine wichtige Rolle zukommt. Um das zu überprüfen, entfernten sie von Kokons der Seidenspinnerraupen das klebende Protein Sericin, dessen Aufgabe es ist, die Form der Kokons zu fixieren. Übrig blieben zwei Fadenproteine, die als Fibroine bezeichnet werden. Diese lösten die Forscher in Wasser auf, was in etwa dem Zustand entspricht, wie die Seidenproteine in den Drüsen der Tiere vorliegen. Durch Dialyse und Zugabe von Polyethylenoxid entzogen sie langsam das Wasser und beobachteten, wie sich die Proteinlösung beim Aufkonzentrieren verhielt.

Jin und Kaplan stellten fest, dass sich Mizellen bildeten, winzige Kügelchen mit Durchmessern von rund 100 bis 200 Nanometern Durchmesser. Wahrscheinlich falteten sich die Ketten der Seidenproteine so, dass ihre Wasser abstoßenden Teile sich im Inneren der Micellen zusammenfinden und die Wasser liebenden Endstücke nach außen weisen. Bei noch stärkerem Wasserentzug lagerten sich die Mizellen zu größeren Gruppen mit Durchmessern von einigen Mikrometern. Die Lösung erreichte dadurch einen Gel-artigen Zustand. Dehnten die Wissenschaftler solch ein Gel, trat weiteres Wasser daraus hervor und die Mizell-Gruppen nahmen eine länglichere Form an.

Auch wenn die Versuchsbedingungen nicht ganz den Umständen in einer Spinndrüse entsprachen, geben sie nach Einschätzung der Forscher dennoch ein ungefähres Bild von den Abläufen bei der natürlichen Fadenbildung. Auch in der Raupe beginnt der Prozess mit einer wässrigen Lösung, der schrittweise das Wasser entzogen wird, sodass ein Phasenübergang zu einem Gel beobachtet werden kann. Und betrachtet man gerissene Seidenfäden unter dem Mikroskop, sind im Kernbereich tatsächlich runde Strukturen zu erkennen. Allerdings, so geben Jin und Kaplan zu bedenken, laufen in den Drüsen vermutlich noch zusätzliche biochemische Prozesse ab, die es weiterhin zu erforschen gilt.

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