Direkt zum Inhalt

News: Von einer Quelle zur nächsten

Wenn sich die Larve eines Röhrenwurms auf den Weg zu einem neuen Zuhause macht, muss sie sich beeilen: Sie hat nur etwa 38 Tage Zeit - so lang reichen ihre Reserven, um von einer Hydrothermalquelle zur nächsten zu kommen. Im Durchschnitt kann sie dabei 100 Kilometer zurücklegen. Das kann im Lebensraum der mittelozeanischen Rücken zu wenig sein. Um weiter entfernte Quellen zu erreichen, muss sie schon eine besonders günstige Meeresströmung erwischen.
Die mittelozeanischen Rücken sind Heimat ganz besonderer Lebensgemeinschaften. Entlang der auseinanderweichenden Platten bilden sich Hydrothermalquellen, an denen heißes Wasser und Gase austreten. Die dort lebenden Organismen bereiten den Forschern noch einiges Kopfzerbrechen.

So bleibt unter anderem die grundlegende Frage: Wie kommen die Organismen überhaupt dorthin? Die Gebilde selbst bestehen jeweils nur einige Jahrtausende – auf der geologischen Zeitskala nur ein kurzer Augenblick. Das umgebende Wasser hat nur wenige Grad Celsius, und der Stoffwechsel der Lebewesen ist auf Schwefelwasserstoff abgestimmt. Die ausgewachsenen Bewohner sind dementsprechend sesshaft. Die Reise von einer Hydrothermalquelle zur nächsten gelingt nur den Larven, die mit den Meeresströmungen verdriftet werden. Doch wie schaffen sie es, die unwirtlichen Bedingungen zu überleben, bis sie ein neues, warmes Zuhause finden?

Um das zu untersuchen, mussten Adam Marsh vom College of Marine Studies der University of Delaware und seine Kollegen erst einmal die Laborbedingungen austüfteln, unter denen sie die nur wenige Mikrometer großen Nachkommen des Röhrenwurms Riftia pachyptila am Leben erhalten konnten. Bei gemütlichen zwei Grad Celsius und einem Druck von 250 000 Hektopascal in einer Edelstahlkammer mit ständigem Meerwasserdurchfluss konnten sie erfolgreich aus den Eiern Larven ziehen.

Die Forscher stellten fest, dass die Tiere in den ersten 34 Tagen ihres Larvendaseins keinen Mund ausbilden, also keine Nahrung aufnehmen können. Die Überlebensdauer hängt also allein von den Reserven ab, welche die Tiere noch aus dem Ei besitzen. Marsh und sein Team analysierten daraufhin deren Fett- und Proteinzusammensetzung und berechneten daraus eine Lebenszeit von etwa 38 Tagen. "Wir waren davon sehr überrascht", berichtet Marsh. "Bei anderen Bewohnern extremer Lebensräume, wie beispielsweise den antarktischen Seegurken, sind die frühen Lebensstadien sehr viel länger, sie können einige Monate dauern."

Und wie weit kommt so ein kleiner Röhrenwurm in 38 Tagen? Dafür mussten die Wissenschaftler sowohl horizontale als auch vertikale Bewegungen berücksichtigen. Zunächst einmal wird es die Larven wohl durch den Ausstrom bis zu 200 Metern in die Höhe reißen. Also maßen Marsh und seine Kollegen in dieser Meerestiefe die Strömungsgeschwindigkeiten und kombinierten sie mit anderen Daten von mittelozeanischen Rücken. Anhand eines Computermodells berechneten sie die Wege, welche die Larven auf ihrer Reise zurücklegen würden. Dabei ermittelten sie, dass die winzigen Organismen kaum mehr als 100 Kilometer in dieser Zeit überwinden können.

Doch selbst in Abschnitten mit großer vulkanischer Aktivität können Regionen mit Hydrothermalquellen gut 100 oder 200 Kilometer auseinander liegen, erklärt Marsh. Dementsprechend sei es offenbar nicht die Regel, dass die Larven von einer Quelle zur nächsten wandern. Im Gegenteil – die Besiedlung einer neuen, warmen Heimat hängt wohl eher von seltenen Strömungsbedingungen ab, bei denen Larven weiter als diese Distanz verdriftet werden.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen
Nature 411: 77–80 (2001)

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.