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News: Von Läusen und Menschen

Läuse sind irgendwie nicht wirklich sexy - und intensive Forschung an ihnen vor dem Steuerzahler rechtfertigen zu müssen, gleicht einer Herausforderung. Sie aber gleich berechtigterweise zum hilfreichen Indiz menschlicher Erfindungsgabe zu machen, ist verblüffend einfallsreich.
Eine neue ökologische Nische entspricht evolutionsbiologisch einem Jahrmarkt frischer Angebote: neue Nahrungsressourcen für alle, die zugreifen wollen, bisher ungenutzte Lebensräume und keine Konkurrenz, mit der all dies zu teilen wäre. Allerdings nur anfänglich, denn dabei bleibt es nie: Die innovationsfähigsten Lebensformen nutzen die neuen Möglichkeiten, passen sich nach und nach bestmöglich an das vorgefundene Nischenmilieu an, verändern sich dabei und werden so zu Stammvätern neuer nischenfüllender Spezies. Gelegenheit macht Arten.

Auch Menschen sind voller Nischen, in dieser Art ökologischen Schubladendenkens: Als Lebensraum für allerlei Darmparasiten beispielsweise, oder für Haarbalgmilben, Menschenflöhe, Kopf- und Kleiderläuse. Letztere Laus-Lästlinge – zwei Unterarten der Spezies Pediculus humanus – spezialisierten sich auf der selbsternannten Krone der Schöpfung nach und nach weiter: Während Kopfläuse ausschließlich das Kopfhaar ihres Opfers bewohnen, sich dort nähren und reproduzieren, frisst die Kleiderlaus überall auf der Körperoberfläche – zieht sich aber zwischen den Mahlzeiten und zu Fortpflanzungszwecken in die schützenden Lagen menschlicher Kleidung zurück.

Wo also keine Kleidung, da keine Kleiderlaus – oder umgekehrt: Wo keine Kleiderlaus, da keine Kleidung, so der Ansatzpunkt eines Forscherteams vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie. Die Wissenschaftler um Mark Stoneking nahmen die Evolutionsgeschichte der Laus näher unter die Lupe, wobei sie sich dabei weniger für das Tier als für dessen Nische selbst interessierten. Ihre zugrunde liegende kulturgeschichtliche Frage: Wann wurde der nackte Mensch im Laufe seiner Evolution zum bekleideten?

Eine Frage, die mit herkömmlichen archäologischen Mitteln nicht befriedigend zu beantworten ist. Fossile Kleidungsreste aus der Modefrühzeit des Menschen existieren schließlich nicht, erste eindeutig mit Kleidungsherstellung verbundene Artefakte – etwa frühe Nähnadeln – sind nur rund 40 000 Jahre alt. Doch hatten unsere Vorfahren nicht schon viel früher schützende Hüllen parat?

Sie müssten wohl gleichzeitig oder nur kurz vorher mit der Kleiderlaus aufgetaucht sein, so Stoneking – und machte sich mit seinem Team und der Hilfe von Erbgutuntersuchungen daran herauszufinden, wann die Kleiderlaus von ihrem gemeinsamen Evolutionsweg mit der Kopflaus abgezweigt war, um ihre ureigene juckreizende Existenz zu begründen. Um die molekulare Uhr der Laus-DNA zu eichen, verglichen die Forscher die Sequenzen zweier mitochondrialer DNA-Abschnitte mehrerer unterschiedlicher Lausstämme aus verschiedenen Erdteilen mit denen der Affenlaus. Der gemeinsame Vorfahr von Affen- und Menschenläusen hatte sich, so die Überlegung, zur selben Zeit in seine heutigen Entwicklungslinien gespalten, zu der auch seine Wirtsarten entstanden, also vor etwa fünfeinhalb Millionen Jahren.

Kopf- und Kleiderlaus, so enthüllten die so kalibrierten Untersuchungen, entwickelten sich vor grob 72 000 Jahren auseinander – grob, weil es statistisch gesehen auch etwa 42 000 Jahre früher oder später gewesen sein könnte. Jedenfalls sind Kleiderlaus – und somit Kleidung, in der allein sie existiert – damit tatsächlich eine überraschend junge Erfindung. Zu spät kam sie aber offensichtlich nicht: Beide entstanden in etwa zu der Zeit, als sich der moderne Mensch von Afrika aus aufgemacht hatte, die gesamte Welt zu erobern. Möglicherweise also, so die Forscher, wurden Körperläuse und Kleidung Mode, als Menschen damals gezwungen waren, auch in kälteren, neu besiedelten Landstrichen zu überleben.

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