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Antibiotikaresistenz: Wählerisches Antibiotikum tötet nur schädliche Bakterien

Flächendeckend keimtötende Antibiotika sind scharfe Waffen mit einer Kehrseite: Resistente Überlebende werden immer weniger angreifbar. Helfen besser gezielte Wirkstoffe?
Künstlerische Darstellung eines Antibiotikum das eine Bakterien-Zellwand attackiert

Der unbedachte Einsatz von Antibiotika hat eine Besorgnis erregende Entwicklung gefördert: Längst sind immer mehr gefährliche Keime gegen immer mehr Wirkstoffe resistent. Mediziner suchen daher nach zielgenaueren Waffen – im Idealfall einer Substanz, die nur bestimmte schädliche Keime attackiert und den Rest der Bakteriengemeinschaft in Ruhe lässt. Forscher um Robert Fagan von der University of Sheffield sind dabei nun vielleicht einen Schritt weitergekommen: Sie haben ein Bakterizid-Protein gefunden, das tatsächlich sehr wählerisch ist und nur bestimmte Bakterien einer bestimmten Art abtötet.

Versuchskaninchen der Forscher ist das Bakterium Clostridium difficile – ein zunehmend störender Problemkeim. Er ist für viele Menschen zwar zunächst nicht per se gefährlich, aber ein Paradebeispiel für die Folgen von allzu eifrigem Antibiotikagebrauch in Krankenhäusern und Arztpraxen: Sie ließen besonders widerständige Varianten überleben, die resistent gegen die meisten eher komplikationsfrei verträglichen Antibiotika sind. In den Industrieländern erkrankten in den letzten Jahren immer mehr vor allem alte Menschen an Infektionen, die lang anhaltende, schwere Durchfälle und Austrocknung hervorrufen und oft eine intensivmedizinische Betreuung nötig machen.

C. difficile produziert als Darmbakterium aber eigene Waffen, die es gegen konkurrierende Keime – oft sogar Varianten der eigenen Art – in Stellung bringt: Bakterizide wie "Avidocin-CD". Diese haben die Forscher um Fagan nun zu medizinischen Zwecken ausgenutzt. Die Proteine ähneln auf den ersten Blick dem Unterbau, mit dem Bakteriophagen bei ihrem Angriff auf Bakterien andocken: Eine über eine Miniaturkanüle gestülpte Hülle zieht sich zurück, wenn die Minispritze mit einer Basisplatte aufsetzt und der Apparat beginnt, tödliche Löcher in die Bakterienwand zu stanzen.

Nur sehr wenige Stämme von C. difficile sind gegen solche Angriffe von Avidocin-CD resistent, schreiben die Forscher nun im Fachblatt "Science Translational Medicine". Diesen interessanterweise lebensfähigen, doch im Darm des Menschen stets völlig harmlosen Varianten fehlt die sonst typische kristalline obere Zellwandschicht, die bei den Bakterien üblicherweise vor allem aus so genannten S-Layer-Proteinen und wenigen anderen eingestreuten Proteinen besteht. Offensichtlich, so zeigen weitere Versuche, dockt jede der rund ein Dutzend subtil unterschiedlichen bekannten Varianten von Avidocin-CD an S-Layer-Proteine an.

Denkbar wäre demnach, künstliche Avidocin-CD-Antibiotika auf sonst antibiotikaresistente Keime loszulassen. Diese würden abgetötet, zudem dürften aber die seltenen resistenten Varianten die frei werdenden Nischen besetzen, ohne dabei für Patienten schädliche Wirkungen hervorzurufen, hoffen die Mediziner. Der gezielte Einsatz dürfte das Mikrobiom also auf weniger unnatürliche Art durcheinanderwirbeln als ein Breitbandantibiotikum, welches nicht nur die schädlichen Keime, sondern auch alle anderen Darmkeime abtötet. Ganz neu ist diese Idee nicht: Avidocin als selektive Bakterienkeule wird schon seit einigen Jahren diskutiert, ohne bislang jedoch im klinischen Alltag angekommen zu sein. Auch die neuen Untersuchungen gelangen bisher nur im Reagenzglas und dem Versuchstier Hamster, geben Fagan und Co zu bedenken – hoffnungsvoll stimme jedoch, dass nach dem Antibiotikaeinsatz offensichtlich nicht besonders schädliche, sondern eher besonders harmlose Vertreter des Problemkeims übrig bleiben.

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