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Epilepsie: Warum auch Standbilder Anfälle auslösen können

Ein kleiner Teil der Betroffenen reagiert bereits auf gefährliche Muster in Standbildern. Die führen auch bei vielen anderen Menschen zu einem Unwohlsein.
Auge aus der Nähe

Lichter, die in bestimmten Frequenzen flackern, lösen bei manchen Epilepsiepatienten Anfälle aus – so geschehen beispielsweise bei einer vom japanischen Fernsehen ausgestrahlten Folge von "Pokémon", bei der eine Szene dazu führte, dass sich 685 Personen im Krankenhaus behandeln lassen mussten. Ärzte sprechen hier von fotosensitiver Epilepsie.

Bei rund einem Drittel der Betroffenen gesellt sich dazu noch eine weitere Empfindlichkeit: Sie reagieren sogar auf Standbilder – auf den ersten Blick unverdächtige Muster, die bei ihnen jedoch eine Reizung und schlimmstenfalls einen Anfall hervorrufen. Verbergen können sich diese kontrastreichen Anordnungen in der Architektur oder allgemein im städtischen Umfeld, weniger jedoch in der freien Natur. Und womöglich zieht das Problem weitere Kreise als gedacht, meinen nun Forscher um Jonathan Winawer von der New York University: Die Strukturen könnten auch das Risiko eines Migräneanfalls erhöhen. In jedem Fall sorgen sie bei vielen Betrachtern ganz allgemein für Unwohlsein.

Das Forscherteam hat sich deshalb auf die Suche nach der Gemeinsamkeit hinter diesen Bildern gemacht. In ihrem Überblicksartikel in "Current Biology" kommen sie zu dem Schluss, dass vor allem jene Muster gefährlich sind, die die Gammaaktivität des Gehirns erhöhen. In Reinform besteht ein solches Bild aus parallelen Streifen, die sich durch einen hohen Kontrast voneinander abheben. Die Hell-Dunkel-Verteilung in einem solchen Muster lässt sich gut mit einer Sinuswelle beschreiben. Hat sie eine Frequenz von zwei bis vier Zyklen pro Grad des Blickfelds, dann ist ihre Wirkung auf die Gammaaktivität im visuellen Kortex am stärksten.

Starke Gammaaktivität durch regelmäßige Streifen | Regelmäßige Streifenmuster einer bestimmten Frequenz (oben) führen dazu, dass auch die Nervenzellen in hoher Synchronität feuern. Dies erscheint im EEG als hohe Gammaaktivität. Ein organisches Muster (unten) hat diesen Effekt nicht.

Die Anfallsgefahr lasse sich leicht reduzieren, indem man einzelne Bildeigenschaften verändert, zum Beispiel die Streifen vergrößert oder sie mit einem um 90 Grad gedrehten Muster überlagert. Die Gammawellen im Gehirn des Betrachters sind dann schwächer ausgeprägt.

Gehirnwellen entstehen durch die gemeinsame elektrische Aktivität der Nervenzellen, sie lassen sich einfach mit Hilfe von EEG messen. Eine ausgeprägte Gammaaktivität bedeutet, dass viele Nervenzellen mit vergleichsweise hoher Frequenz von mehr als 30 Hertz feuern. An und für sich gilt das nicht als besonders gesundheitsschädlich – eher im Gegenteil. Viele Forscher sehen darin eine Folge von Aufmerksamkeits- oder Konzentrationsvorgängen oder sogar die treibende Kraft dahinter. Dass die Muster auch für den von Epilepsie nicht betroffenen Betrachter etwas Unangenehmes haben, könnte daran liegen, dass das Gehirn dadurch überstimuliert wird.

Schon länger nehmen Forscher an, dass hinter epileptischen Anfällen eine außer Kontrolle geratene Synchronität der Nervenzellaktivität stehen könnte. Allerdings lassen sich die Vorgänge nur schwer untersuchen, meinen Winawer und Kolleginnen. Ein enger Zusammenhang mit der viel besser verstandenen Gammaaktivität des Sehzentrums könne sich deshalb als nützliches Hilfsmittel erweisen, um mehr über die Hintergründe von Epilepsie in Erfahrung zu bringen.

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